24.3.2014: Forschung CH

Verluste an Biodiversität im Alpenraum – Meliorationen als treibender Faktor

Les améliorations foncières causes de perte de biodiversité dans les Alpes



Roman Graf et al.

Seit 1986 sind im Engadin mehr als 20% der damals vorhandenen, für die Biodiversität besonders wertvollen Wiesen verloren gegangen. Am grössten waren die Verluste dort, wo in der Zwischenzeit landwirtschaftliche Meliorationsprojekte realisiert wurden.

Depuis 1986, plus de 20% des prairies présentes en Engadine et particulièrement précieuses pour la biodiversité ont disparu. Les pertes étaient les plus importantes là où entretemps des projets d’amélioration foncière ont été réalisés.


Die Intensivierung der Grünlandnutzung hat in den letzten Jahrzehnten auch die Schweizer Alpen erreicht. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn sie betrifft die letzten Rückzugsgebiete zahlreicher Organismen, die auf eine grossflächig extensive Wiesenlandnutzung angewiesen sind. Wie stark der Intensivierungsschub bereits auf die Vegetation gewirkt hat, wurde im Rahmen einer Langzeitstudie gemessen. Es wurden auf 58 über das ganze Engadin verteilten Untersuchungsflächen (zusammen 12,53 km2) die Entwicklung der Vegetation und die Nutzungsintensität zwischen 1987/88 und 2009/10 sowie der Einfluss diverser Standortsbedingungen untersucht.
Die ungedüngten Vegetationstypen haben in diesem Zeitraum 20% ihrer ursprünglichen Fläche verloren. Am grössten waren die Verluste in Gebieten, in welchen vor kurzem landwirtschaftliche Meliorationsprojekte realisiert wurden. Zugenommen haben dafür die intensiv genutzten Wiesen und Weiden. Interessanterweise stammt der Zuwachs nicht in erster Linie von weniger intensiv genutzten Fettwiesen (Goldhaferwiesen, Trisetion) sondern von gemähten, ehemaligen Halbtrockenrasen. Die wenig intensiv genutzten, mässig gedüngten Fettwiesen haben nämlich ebenfalls leicht zugenommen, was wohl durch den Abschluss zahlreicher naturschutzfachlich motivierter Bewirtschaftungsverträge zwischen Behörden und Bewirtschaftern zu erklären ist. Der Staat unterstützt also einerseits die Intensivierung durch die Subventionierung von Meliorationsprojekten, anderseits auch die Extensivierung durch den Abschluss von Verträgen.
Vergandung ist im Engadin bisher kein grossräumiges Problem. Vermutlich wird sie vielerorts durch Naturschutzverträge erfolgreich verhindert. Einzig die ertragsschwächsten Vegetationseinheiten sind von Nutzungsaufgabe betroffen. So wurden 19% der in den 1980er-Jahren extensiv beweideten Trockenrasen (Xerobromion) 2009/10 als verbrachend kartiert. Trotz der erwähnten, bedauerlichen Verluste bleibt das Engadin einer der wichtigsten Biodiversitäts-Hotspots der Schweizer Alpen. Die immer noch sehr vielfältige Landschaft mit den einmaligen blühenden Wiesenlandschaften zieht im Unterengadin mittlerweile mehr Sommer- als Wintertouristen an. Damit diese Werte erhalten bleiben, ist es notwendig, dass mögliche negative Auswirkungen von landwirtschaftlichen Infrastrukturprojekten zukünftig einer noch eingehenderen Prüfung unterzogen werden.

Quelle: Schweizerische Vogelwarte


Keywords:
Landwirtschaft, Melioration, Nutzungsintensität, Bewirtschaftungsverträge, Halbtrockenrasen

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Graf R. et al. (2014): 20% loss of unimproved farmland in 22 years in the Engadin, Swiss Alps. Agriculture, Ecosystems and Environment 185, 48-58.

Kontaktadresse:
Roman Graf
Schweizerische Vogelwarte
Seerose 1
CH-6204 Sempach

roman.graf@vogelwarte.ch
Tel: +41 (0)41 462 97 43


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