12.11.2013: Forschung CH
Klimawandel: Auch Schnecken kommen vom Fleck
Changements climatiques: même les escargots bougent
Bruno Baur, Anette Baur
Neue Feldaufnahmen im Nationalpark zeigen, dass die Gefleckte Schnirkelschnecke in den vergangenen 95 Jahren ihre höchstgelegenen Vorkommen an Berghängen um durchschnittlich 146 Höhenmeter gipfelwärts verschoben hat. Dies bedeutet, dass auch wirbellose Kleintiere mit geringer Mobilität auf die Klimaerwärmung in den Alpen reagieren.
De nouvelles données de terrain du Parc national montrent que l’escargot hélice des bois a déplacé sa présence la plus haute sur le versant des montagnes en moyenne de 146 m de hauteur en direction du sommet au cours des dernières 95 années. Cela signifie que même de petits animaux invertébrés avec une mobilité faible réagissent aux changements climatiques dans les Alpes.
Als Folge des Temperaturanstiegs wird in den Alpen die Vegetationsperiode länger, viele Pflanzen blühen früher und verschieben ihre Verbreitung langsam in die Höhe, wenn geeigneter Boden vorhanden ist. Mit der Klimaerwärmung verändern sich auch die Lebensräume der Tiere. Für wärmeempfindliche Arten bedeutet dies, dass sie ebenfalls in kühlere Regionen Richtung Gipfel ausweichen oder sich durch natürliche Selektion an die steigende Wärme anpassen müssen. Arten, die sich nicht auf die neuen Bedingungen einstellen können, verschwinden aus dem angestammten Gebiet. Bei Vögeln konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass sie ihr Verbreitungsgebiet gipfelwärts ausdehnten und nun auf grösseren Höhen brüten. Wie reagieren aber die weniger mobilen wirbellosen Kleintiere auf die Klimaerwärmung in den Alpen?
Kurz nach der Gründung des Schweizer Nationalparks beschäftigte sich der Basler Doktorand Ernst Bütikofer mit der maximalen Höhenverbreitung der Gefleckten Schnirkelschnecke Arianta arbustorum auf verschiedenen Berghängen im Park in den Jahren 1916/17. Diese im Vergleich zu anderen Arten eher leicht auffindbare Schnecke mit ihrem kugeligen, 15 bis 18 mm breiten Gehäuse bewohnt neben feuchten Wäldern auch alpine Rasen. Bütikofers Disseration bildete die Grundlage für eine neue Studie. Mit Hilfe der historischen Karte, in welcher die damals höchstgelegenen Populationen eingezeichnet waren, sowie anhand von Geländebeschreibungen und Höhenangaben wurden in den Jahren 2011/12 die gleichen Berghänge wieder aufgesucht. Nach 95 Jahren wurde die Gefleckte Schnirkelschnecke an den gleichen Stellen wiedergefunden. Um mögliche Arealverschiebungen festzustellen, suchten die Forscher an allen Berghängen das höhergelegene Gelände systematisch ab. Das Ergebnis war eindeutig: Die Schnecken haben ihre höchstgelegenen Populationen um durchschnittlich 146 Höhenmeter Richtung Gipfel verschoben. Dabei war die Höhenausbreitung an südexponierten Hängen ausgeprägter als an nord- bis nordostexponierten Hängen. Allerdings kann dieses Ausweichen in grössere Höhen nicht unbegrenzt weitergehen. An zwei der neun untersuchten Berghänge haben die Schnecken senkrechte Felswände erreicht, die ein weiteres Vordringen in noch grössere Höhen verhindern.
Daten von der Wetterstation Buffalora an Rande des Nationalparks belegen einen eindrücklichen Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur um 1.6oC während der vergangenen 95 Jahren. Die jährliche Niederschlagsmenge hat sich hingegen im gleichen Zeitraum nicht verändert. Dieser deutliche Temperaturanstieg verkürzt die Dauer der Schneedecke und verlängert so die Vegetationsperiode. Die Höhenverbreitung der Gefleckten Schnirkelschnecke ist durch die Länge der Vegetationsperiode begrenzt. Wird diese an der oberen Verbreitungsgrenze länger, können die Tiere zusammen mit der Vegetation in grössere Höhen ziehen. Dazu reicht die bei markierten Schnecken gemessene Ausbreitungsleistung von rund 10 m pro Jahr aus. Die im vom Menschen ungestörten Nationalpark festgestellte Höhenverschiebung dürfte weltweit der erste Nachweis sein, dass auch wenig mobile Kleintiere wie Schnecken im Gebirge auf die Klimaerwärmung reagieren.
Quelle: Universität Basel
Keywords:
Klimaerwärmung, Höhenverbreitung, Nationalpark, Wirbellose, Arianta arbustorum
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Baur B., Baur A. (2013). Snails keep the pace: shift in upper elevational limit on mountain slopes as a response to climate warming. Canadian Journal of Zoology 91: 596-599.
http://www.conservation.unibas.ch/team/baur/abstracts.php?no=1&lang=en&ref=baur2013cjz
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Bruno Baur, Institut für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz, Universität Basel, CH-4056 Basel
bruno.baur@unibas.ch
Tel: +41 (0)61 267 08 29
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