12.11.2012: Forschung CH

Genetische Vielfalt von wildlebenden Arten ist ungenügend geschützt

La diversité génétique des espèces sauvages mal sauvegardée



Pierre Taberlet et al.

Trägt der Schutz von Artenvielfalt stellvertretend auch zur Erhaltung der genetischen Vielfalt bei? Eine gross angelegte Studie über die gesamten Alpen und Karpaten weist zum ersten Mal nach, dass eine hohe Vielfalt alpiner Pflanzenarten nicht zwingend mit einer hohen genetischen Vielfalt räumlich übereinstimmt. Die Strategien zum Schutz der Biodiversität im Alpenraum sollten deshalb angepasst werden, damit auch die genetische Vielfalt als Teil der gesamten Biodiversität erhalten bleibt.

Est-ce que la protection de la diversité des espèces contribue à la sauvegarde de la diversité génétique? Une vaste étude couvrant les Alpes et les Carpates montre pour la première fois que, dans une même espace, une grande diversité spécifique chez les plantes alpines ne correspond pas forcément à une haute diversité génétique. En conséquence, il faudrait à l’avenir adapter la stratégie pour protéger la biodiversité dans les Alpes afin que la diversité génétique soit aussi préservée comme partie intégrante de la biodiversité.


Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Lebensräume, diejenige der Arten und jene der Gene. Bislang besagt die Theorie, dass die drei Ebenen übereinstimmen, u.a. weil sie alle denselben Prozessen ausgesetzt sind. Demnach sind Gebiete mit einer hohen Vielfalt an Lebensräumen auch reich an Arten und diese verfügen über eine hohe genetische Vielfalt. Die genetische Vielfalt ist ebenso wichtig wie die Artenvielfalt, weil sie die Anpassungsfähigkeit einer Art in einer sich ändernden Umwelt bestimmt. Wenn der Klimawandel die Umweltbedingungen im Alpenraum verändert, ist die Anpassungsfähigkeit der Alpenpflanzen für die langfristige Erhaltung der Artenvielfalt von zentraler Bedeutung.
Eine internationale Forschungsgruppe unter der Leitung der Universität Grenoble und der WSL fand nun heraus, dass eine hohe Artenvielfalt nicht mit einer hohen genetischen Vielfalt einhergehen muss. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten im ganzen Alpenraum die Verbreitungsmuster von 893 alpinen Pflanzenarten. Von 27 dieser Arten bestimmten sie die genetischen Fingerabdrücke und fanden, dass Gebiete mit hoher Artenvielfalt nicht mit Gebieten mit einer hohen genetischen Vielfalt übereinstimmen. Die Forschenden konnten auch die Ursachen festmachen: Die Artenvielfalt der Alpenpflanzen wird von lokalen Umweltbedingungen beeinflusst, während die genetische Vielfalt von Prozessen geprägt wird, welche nach der letzten Eiszeit zur Wiederbesiedlung der eisfreien Gebiete führten. Dass dieses Ergebnis keinen "Sonderfall Alpen" darstellt, zeigte eine parallel durchgeführte Untersuchung in den Karpaten.
Für die Erhaltung der Biodiversität im Alpenraum sind die neuen Erkenntnisse wichtig. Heute werden Schutzgebiete dort ausgeschieden, wo seltene Arten vorkommen und wo die Lebensraumvielfalt und somit die Artenzahl besonders hoch ist. Langfristig sind die Alpenpflanzen damit aber nicht genügend geschützt, weil ihre genetische Vielfalt mit den heutigen Schutzgebieten nur unzureichend gesichert ist. In Zukunft sollten die bestehenden Schutzgebiete mit Gebieten ergänzt werden, welche sich durch eine hohe genetische Vielfalt auszeichnen. Ferner müssen die neuen und bestehenden Schutzgebiete besser vernetzt werden. Damit wird der Austausch von Individuen und ihren Genen zwischen den Beständen der Alpenpflanzen gewährleistet und die genetische Vielfalt auch langfristig erhalten.


Keywords:
Alpenpflanzen, Biodiversitätserhaltung, Netzwerk alpiner Schutzgebiete, genetische Vielfalt, Artenreichtum

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Taberlet P. et al. (2012). Genetic diversity in widespread species is not congruent with species richness in alpine plant communities. Ecology Letters 15, 1439–1448.
http://www.wsl.ch/intrabiodiv
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ele.12004/abstract

Kontaktadresse:
Felix Gugerli
Biodiversität und Naturschutzbiologie
WSL
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf

felix.gugerli@wsl.ch
Tel: +41 (0)44 739 25 90


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