5.4.2012: Forschung CH
Seendüngung bringt Fischarten zum Verschwinden
La fertilisation des lacs, cause de disparition des poissons
Pascal Vonlanthen et al.
Die Überdüngung der Schweizer Seen hat die Zahl der einheimischen Felchenarten zwischen 1950 und 1990 um fast 40% reduziert. Nur in tiefen und von der übermässigen Nährstoffzufuhr weniger betroffenen Alpenrandseen konnten sich die historisch belegten Arten halten. Doch auch sie sind genetisch gesehen näher zusammengerückt.
La surfertilisation des lacs suisses a réduit entre 1950 et 1990 de près de 40% le nombre d’espèces indigènes de corégones. Seuls les lacs profonds et ceux du pourtour alpin, moins touchés par l’apport démesuré de nutriments, ont conservé les espèces attestées historiquement. Mais là aussi, la diversité génétique diminue et les espèces deviennent de plus en plus semblables.
Die Vielfalt der Felchenarten wurde vor allem durch die Vermischung einst eigenständiger Arten reduziert. Verantwortlich dafür war – so fanden Wissenschafter der Eawag und der Universität Bern heraus – die Überdüngung der Schweizer Seen zwischen 1950 und 1990: Weil in dieser Zeit viele Seen am Grund und im tiefen Wasser kaum noch Sauerstoff enthielten, fehlten Nischen für Spezialisten, die in grösseren Tiefen fressen oder sich fortpflanzen. Sie, die sich seit der letzten Eiszeit entwickelt hatten, mussten in seichteres Wasser ausweichen. Dort kreuzten sie sich mit verwandten Arten und verloren innert weniger Generationen ihre genetische und funktionale Einzigartigkeit.
Die Forschenden konnten nachweisen, dass das Ausmass der Düngung nicht nur den Artenrückgang erklärt, sondern auch dafür verantwortlich ist, dass die noch erhaltenen Arten weniger verschieden geworden sind. Je höher die maximalen Phosphorkonzentrationen in den 17 nördlich der Alpen untersuchten Seen geklettert sind, desto mehr sind unter den verbliebenen Felchenarten die genetische Vielfalt sowie Spezialisierungen an bestimmte Wassertiefen, bestimmte Laichzeiten oder besondere Ernährungsweisen verloren gegangen. Für den Schutz der Biodiversität heisst es also, nicht nur die bestehenden Arten zu erhalten, sondern auch die ökologischen und evolutionären Prozesse, welche den Spezialisten das Überleben sichern und zur Entstehung neuer Arten beitragen.
Das Besondere an den Felchen ist, dass es im Alpenraum mindestens 25 Seen gibt, in denen eine oder mehrere endemische Arten leben. Zudem sind von diesen Felchen zahlreiche historische Daten und Gewebeproben erhalten. Nicht nur weil es begehrte Speisefische sind, sondern vor allem weil vor 60 Jahren eine detaillierte Studie die Felchen aus 17 dieser Seen wissenschaftlich untersucht und klassiert hat. Dieselben Seen wurden nun erneut unter die Lupe genommen: Im Mittel ist die Zahl der Felchenarten um 38% zurückgegangen. In sieben Seen sind die ursprünglichen Felchenpopulationen heute gar ganz ausgestorben und wurden durch eingesetzte Fische ersetzt. Keinen Artenrückgang hinnehmen mussten einzig die tiefen und von der Überdüngung weniger stark betroffenen Alpenrandseen. Doch auch unter den verbliebenen Arten sind die genetische und ökologische Differenzierungen sowie die Variationen in der Gestalt der Fische kleiner geworden.
Es muss davon ausgegangen werden, dass die Düngung der Seen auch bei anderen Fischen, vielleicht auch bei den Fischnährtieren, ähnliche Verluste der Vielfalt bewirkt haben. Die Forschenden sehen in der aktuellen Studie auch eine Warnung an diejenigen, die neuerdings in der Hoffnung auf höhere Fischfangerträge eine Drosselung der Phosphorelimination in Kläranlagen fordern.
Quelle: EAWAG
Keywords:
Überdüngung, Felchen, Evolution, genetische Vielfalt, Gewässer
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Vonlanthen P., Bittner D., Hudson A.G., Young K.A., Mueller R., Lundsgaard-Hansen B., Roy D., di Piazza S., Largiarder C.R., Seehausen O. (2012): Eutrophication causes speciation reversal in whitefish adaptive radiations. Nature, DOI: 10.1038/nature10824.
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Kontaktadresse:
Prof. Dr. Ole Seehausen
Eawag (Abteilung Fischökologie und Evolution)
Seestrasse 79
CH-6047 Kastanienbaum
ole.seehausen@eawag.ch
Tel: +41 (0)58 765 21 21
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