12.12.2011: Forschung international
Klimawandel: Grosse Verluste an genetischer Vielfalt befürchtet
Changement climatique: on craint de grandes pertes pour la diversité génétique
Bálint M. et al.
Forschende kommen zum Schluss, dass die bisher geschätzte Rate des Biodiversitätsverlusts durch den Klimawandel möglicherweise deutlich nach oben korrigiert werden muss. Bis zum Jahr 2080 könnte in bestimmten Organismengruppen über 80% der genetischen Vielfalt innerhalb von Arten verschwinden. Die Studie ist die erste weltweit, die den Verlust der biologischen Diversität auf Basis der genetischen Vielfalt quantifiziert.
Les scientifiques arrivent à la conclusion que l’estimation actuelle du taux de perte de biodiversité induit par le changement climatique doit être revu à la hausse, et ceci fortement. Jusqu’en 2080, plus de 80% de la diversité génétique au sein des espèces pourrait disparaître dans certains groupes d’organismes. L’étude est la première à quantifier la perte de biodiversité sur la base de la diversité génétique.
Für die Studie wurde die Verbreitung von neun europäischen Wasserinsektenarten, die heute noch in mehreren höheren Gebirgslagen Mittel- und Nordeuropas im Oberlauf von Bächen vorkommen, modelliert. Sie sind bereits gut untersucht, so dass die regionale Verteilung der innerartlichen Vielfalt und das Vorkommen von evolutionären Linien bekannt sind. Wenn die durch den Weltklimarat IPCC prognostizierte Klimaerwärmung eintritt, werden sie nach den Modellberechnungen im Jahr 2080 auf wenige, kleine Inseln (z.B. in Skandinavien und den Alpen) zurückgedrängt. In Zahlen ausgedrückt heisst das: Erwärmt sich Europa nur um bis zu zwei Grad, so überleben acht der untersuchten Arten zumindest in Teilgebieten; bei einer Erwärmung um 4 Grad können 2080 wahrscheinlich noch sechs Arten in Teilgebieten überleben. Die genetische Vielfalt wird aber durch das Aussterben lokaler Populationen in weitaus dramatischerem Umfang zurückgehen. In der pessimistischsten Projektion würden bis 2080 84 Prozent aller genetischen Varianten aussterben; im «günstigsten» Fall verschwänden immerhin gut zwei Drittel aller genetischen Varianten. Die untersuchten Wasserinsekten sind repräsentativ für viele Arten der Bergregionen Mitteleuropas.
Die Modelle der zukünftigen Verbreitung zeigen, dass die «Art» als solche meist überleben wird. Ein Grossteil der jeweils nur an bestimmten Orten vorkommenden genetischen Varianten wird jedoch nicht überleben. Dabei gehen eigenständige evolutionäre Linien in anderen Regionen, wie beispielsweise den Karpaten, Pyrenäen oder den deutschen Mittelgebirgen verloren. Viele dieser Linien sind derzeit dabei, sich zu eigenständigen Arten zu entwickeln, werden aber nach den Modellberechnungen bereits auf dem Weg zur Artbildung aussterben. Ausserdem ist die genetische Variation innerhalb der Art wichtig für die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Lebensräume und klimatische Bedingungen. Ihr Verlust reduziert damit langfristig auch die Überlebenschancen einer Art.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen
Keywords:
Klimawandel, genetische Vielfalt, Artbildung
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Bálint M., Domisch S., Engelhardt C.H.M., Haase P., Lehrian S., Sauer J., Theissinger K., Pauls S.U., Nowak C. (2011): Cryptic biodiversity loss linked to global climate change. Nature Climate Change (2011). doi:10.1038/NCLIMATE1191.
Kontaktadresse:
Dr. Carsten Nowak
Abteilung Limnologie und Naturschutzforschung
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Clamecystraße 12
D-63571 Gelnhausen
cnowak@senckenberg.de
Tel: +49 (0)6051 61954 3122
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