3.11.2011: Forschung international

Artenschwund in Fliessgewässern durch Querbauten

Les espèces disparaissent à cause des ouvrages hydrauliques transversaux



Melanie Müller, Joachim Pander, Jürgen Geist

Dämme und Wehre wirken sich stärker auf das Ökosystem von Fliessgewässern aus als bisher bekannt. Die Artenvielfalt geht im Staubereich oberhalb der Querbauten stark zurück: Bei Fischen liegt sie durchschnittlich um ein Viertel, bei Kleinlebewesen zum Teil sogar um die Hälfte niedriger.

L’impact des digues et barrages sur les écosystèmes fluviatiles est plus important que ce que l’on supposait jusqu’ici. La diversité des espèces recule drastiquement dans le bassin de rétention en amont de l’ouvrage transversal: chez les poissons, elle décline d’environ un quart, chez les micro-organismes même de moitié.


In fünf Flüssen mit unterschiedlichen geologischen Ursprüngen wurden die Wasserlebewesen auf beiden Seiten der Wehre systematisch erfasst. Das Ergebnis: Anzahl, Biomasse und Vielfalt von Aufwuchsalgen, Kleinlebewesen und Fischen sind in Staubereichen stark reduziert. Der gemessene Artenreichtum von Fischen etwa liegt im Vergleich zum Unterwasser durchschnittlich um ein Viertel niedriger, ihre Biomasse verringert sich sogar um den Faktor drei.
Besonders betroffen sind strömungsliebende Fischarten, von denen viele auf der Roten Liste Deutschlands stehen. Bachforelle, Äsche und Huchen sind anspruchsvolle Fischarten, die sauerstoffreiches Wasser benötigen und in grobkörnigen Kiesbereichen laichen. Als typische Bewohner des Oberlaufs von Flüssen finden sie in aufgestauten Bereichen keinen geeigneten Lebensraum mehr. Stattdessen werden diese Abschnitte oft von Brachsen, Döbeln und sogar Karpfen dominiert – Generalisten, die eigentlich an stehende Gewässer angepasst sind. Besonders dramatisch ist die ökologische Verarmung der Flüsse, wenn aneinandergereihte Staudämme verhindern, dass verschiedene Teillebensräume ausreichend vernetzt sind.
Grund für den Artenschwund ist den Forschern zufolge nicht in erster Linie die Undurchlässigkeit der Barriere für wandernde Fischarten. Vielmehr ist die Veränderung der chemischen und physikalischen Eigenschaften im Fluss ausschlaggebend. Wird die Strömung abgebremst oder unterbrochen, sinkt oberhalb des Wehres die Fliessgeschwindigkeit – bei zunehmender Wassertiefe. In allen untersuchten Staubereichen haben die Forschenden zudem grosse Unterschiede im Sauerstoffgehalt und in der Temperatur zwischen dem Wasser und dem Sediment im Flussbett gemessen, was die Fortpflanzung strömungsliebender Fischarten erschwert. Hinzu kommen Unterschiede in der Struktur der Sedimente. Unterhalb des Wehres sind die Partikel durchschnittlich doppelt so gross und bieten mehr und hochwertigere Laichplätze.
Flussabschnitte in unmittelbarer Nähe zu Wehren sollten deshalb stärker in ökologische Begutachtungen einbezogen werden. Bei der Beurteilung von neuen Querbauten oder bei der Modernisierung von Wasserkraftwerken geht es nämlich nicht nur um die Wanderung einzelner Fischarten, sondern um die Folgen für den Lebensraum Fluss als Ganzes.

Quelle: Technische Universität München


Keywords:
Fliessgewässer, Querbauten, Barrieren, Wasserkraft

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Müller M., Pander J., Geist J. (2011). The effects of weirs on structural stream habitat and biological communities. Journal of Applied Ecology (early online)
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2664.2011.02035.x/abstract


Kontaktadresse:
Prof. Jürgen Geist
Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie
Technische Universität München
Mühlenweg 22
D-85354 Freising

geist@wzw.tum.de
Tel: +49 (0)8161 71 3767


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