19.10.2011: Forschung international
Der Stammbaum des Lebens – wann entwickeln Pflanzen neue Arten?
L’arbre généalogique de la vie – à quel moment se développent de nouvelles espèces de plantes?
Smith S.A. et al.
Wissenschaftler aus den USA und Deutschland haben den weltweit grössten Stammbaum (Phylogenie) für Pflanzen rekonstruiert. Anhand dieser Rekonstruktion zeigen die Wissenschaftler, dass die Vorfahren wichtiger Pflanzenfamilien erst mit ihrem Aufbau und ihrer Leistungsfähigkeit experimentiert haben, um daraufhin schnell viele neue Arten hervorzubringen. Diese Erkenntnis widerlegt die etablierte Meinung, dass verstärkte Artbildung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausbildung neuer physikalischer Eigenschaften oder Mechanismen ausgelöst wird.
Des scientifiques des USA et d’Allemagne ont reconstitué le plus grand arbre généalogique du monde des plantes (phylogénie). A l’aide de cette reconstitution, les scientifiques ont montré que les ancêtres des principales familles de plantes ont d’abord expérimenté avec leur structure et capacité productive, pour ensuite engendrer de nombreuses nouvelles espèces. Ces connaissances réfutent l’avis établi qu’une forte spéciation est en lien direct avec la formation de propriétés ou de mécanismes physiques nouveaux.
Bisher gingen Biologen davon aus, dass verstärkte Artbildung erst dann eintritt, wenn ein Ast im Stammbaum des Lebens neue, überlegene physikalische Eigenschaften oder Verbreitungsmechanismen hervorbringt. In der unmittelbaren Folge können schnell neue Lebensräume erschlossen werden, wodurch im weiteren Verlauf der Evolution die Entstehung einer neuen, artenreichen Pflanzenfamilie angestossen wird.
Ein Forscherteam hat nun jedoch entdeckt, dass grosse Familien der Blütenpflanzen erst dann erfolgreich neue Arten erzeugen, wenn sie bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben. Einer erfolgreichen Artbildung geht eine Phase des Experimentierens voraus, so die Wissenschaftler.
Um dem Prozess der verzögerten Artbildung auf die Spur zu kommen, haben die Wissenschaftler mit Hochleistungsrechnern den bisher grössten Stammbaum der Pflanzen berechnet: Er umfasst 55’473 Arten der Angiospermen (Blütenpflanzen) – eine Gruppe, die etwa 90 Prozent aller Pflanzenarten der Welt stellt. Die Berechnung eines Stammbaums dieser Grösse stellt auch aus technischer Sicht einen Meilenstein in der Evolutionsbiologie beziehungsweise evolutionären Bioinformatik dar und eröffnet der Forschung bisher unerreichte Einsichten in den Stammbaum des Lebens.
Der gemeinsame Vorfahre der untersuchten Familien sind die Mesangiospermae, ein Stamm, der vor über 125 Millionen Jahren entstanden ist. Die Forscher waren überrascht, dass bei den Mesangiospermae und den Pflanzen, die sich aus ihnen entwickelt haben, die Explosion in der Artentwicklung nicht direkt an der Abstammungswurzel zu finden ist. Die intensive Diversifizierung trat erst einige Zeit später auf. Eine exakte Zeitangabe ist allerdings nur schwer möglich.
Während der frühen Evolution dieser Familien entwickeln sich bereits ansatzweise Merkmale, die eine optische Zuordnung zu den jeweiligen Familien ermöglichen. Sie beginnen aber erst dann sich sehr schnell zu diversifizieren, wenn sich diese Merkmale stärker ausgebildet und stabilisiert haben.
Diese Befunde befinden sich in Einklang mit der Ansicht, dass die schnelle Artenbildung von einer relativ langen «Zündschnur» entfacht wird und dass anfängliche Innovationen ein Experimentieren ermöglichen, schreiben die Wissenschaftler. Letztendlich kann die Evolution einer Kombination dieser Merkmale zu einer ausgeprägten Artbildung führen.
Der berechnete Stammbaum ist öffentlich zugänglich und kann unter http://portnoy.iplantcollaborative.org/ online betrachtet werden («BigPlantTree» im Menü auswählen).
Quelle: Heidelberger Institut für Theoretische Studien gGmbH
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Smith S.A. et al. (2011). Understanding angiosperm diversification using small and large phylogenetic trees. American Journal of Botany, 2011; 98 (3): 404 DOI: 10.3732/ajb.1000481
http://portnoy.iplantcollaborative.org/
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Kontaktadresse:
Dr. Alexandros Stamatakis
Scientific Computing group
HITS Heidelberger Institut für Theoretische Studien
Schloss-Wolfsbrunnenweg 35
D-69118 Heidelberg
alexandros.stamatakis@h-its.org
Tel: +49 (0)6221-533-240
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