18.8.2011: Forschung CH
Der «Historische Brutvogelatlas» zeigt den verflogenen Reichtum der Vogelwelt
L’«Atlas historique des oiseaux nicheurs»: une richesse envolée
Peter Knaus et al.
Aus alten Archivdaten und Befragungen von Zeitzeugen konnte die Schweizerische Vogelwarte Sempach die Verbreitung der Brutvögel um 1950 rekonstruieren. Die Resultate präsentiert sie nun in einem «Historischen Brutvogelatlas». Das Werk dokumentiert die teils dramatischen Veränderungen in der Vogelwelt in den letzten sechs Jahrzehnten. Insbesondere Vogelarten der Feuchtgebiete und des Kulturlands waren um 1950 noch weit verbreitet; sie erlitten bis heute die grössten Einbussen.
La Station ornithologique de Sempach a pu reconstituer la répartition des oiseaux nicheurs en 1950 à partir de données d’archives et d’enquêtes auprès de témoins de l’époque. Elle présente les résultats dans un «atlas historique des oiseaux nicheurs». L’ouvrage documente les changements parfois dramatiques touchant le monde des oiseaux au cours des six dernières décennies. En particulier les espèces des zones humides et des milieux cultivés étaient encore très répandues. Elles ont subi les pertes les plus sévères.
Die Landschaften in der Schweiz haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, was tiefgreifende Auswirkungen auf die Vogelwelt hatte. Der «Historische Brutvogelatlas» illustriert erstmals umfassend und quantitativ die Verbreitung der Brutvögel in den 1950er-Jahren. Dazu wurden Beobachtungsarchive, Publikationen und Notizbücher aus jener Zeit aufgearbeitet und damals schon aktive Ornithologinnen und Ornithologen befragt.
Bislang war die Vogelwelt unseres Landes erst ab Mitte der 1970er-Jahre gut dokumentiert. Der Blick 60 Jahre zurück macht deutlich, welch gewaltigen Aderlass die heimische Vogelwelt seither erlitten hat. Zwar haben mehrere Arten in dieser Zeit die Schweiz neu besiedelt; sie sind aber meist selten geblieben. Umgekehrt haben viele Vogelarten Arealverluste erlitten, einige sind als Brutvögel ganz verschwunden. Insbesondere heute seltene Brutvogelarten des Kulturlands waren in den 1950er-Jahren im Mittelland noch weit verbreitet und stellenweise häufig, beispielsweise Steinkauz, Wiedehopf, Raubwürger und Rotkopfwürger. Schon in den 1970er-Jahren waren deutliche Rückgänge festzustellen, die sich bis in die 1990er-Jahre intensivierten und bis heute fortsetzen. Andere Brutvögel wie Rebhuhn und Wachtelkönig waren bereits in den 1950er-Jahren nur noch lückenhaft verbreitet. Nur wenige Kulturlandarten (z.B. Weissstorch, Rotmilan) konnten ihr Areal seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ausweiten. Vögel grosser Ried- und Feuchtgebiete sind seit 1950 ebenfalls stark zurückgegangen, etwa Bekassine und Grosser Brachvogel. Dagegen konnten zahlreiche Brutvögel, die hauptsächlich an grösseren Gewässern leben, ihr Areal erweitern oder haben die Schweiz neu besiedelt. Dazu gehören mehrere Entenarten, Mittelmeermöwe und Bartmeise. Bei den Waldbewohnern blieben die Arealveränderungen seit den 1950er-Jahren insgesamt bescheiden. Einbussen zeigten vor allem Haselhuhn, Auerhuhn und Ziegenmelker.
Die Veränderungen in der Schweizer Landschaft, vom dörflichen Charakter zu den Agglomerationen, haben bei den Brutvögeln deutliche Spuren hinterlassen. Der Historische Brutvogelatlas zeigt, wie vielfältig die Schweizer Vogelwelt einst war. Dieser Reichtum kann nur wiedergewonnen werden, wenn der Schutz und die Förderung der Vögel in der Schweiz deutlich verstärkt werden.
Weitere Informationen finden sich unter www.vogelwarte.ch/Atlas1950, wo das 336 umfassende Buch für Fr. 85.– auch bestellt werden kann.
Keywords:
Verbreitung, Brutvögel, Schweiz, Artenvielfalt
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Knaus P. et al. (2011). Historischer Brutvogelatlas. Die Verbreitung der Schweizer Brutvögel seit 1950/Atlas historique des oiseaux nicheurs. La répartition des oiseaux nicheurs de Suisse depuis 1950. Schweizerische Vogelwarte/Station ornithologique suisse, Sempach. 336 S./336 p.
http://www.vogelwarte.ch/Atlas1950
Kontaktadresse:
Peter Knaus
Schweizerische Vogelwarte
CH-6204 Sempach
peter.knaus@vogelwarte.ch
Tel: +41 (0)41 462 97 32
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