17.1.2011: Forschung CH

Temperaturmosaik im Hochgebirge: Genügend Nischen für Pflanzenarten in Zeiten der Klimaerwärmung

Mosaïque des températures en haute-montagne: les plantes ont suffisamment de niches en période de réchauffement climatique



Daniel Scherrer und Christian Körner

Für alle Organismen, die an einen speziellen Lebensraum angepasst sind, kann eine Klimaerwärmung fatale Folgen haben, wenn sie nicht davonlaufen oder fliegen können. In Fachkreisen ist man bisher davon ausgegangen, dass dies vor allem für Gebirgsorganismen zutrifft und diese deshalb von der Klimaerwärmung besonders hart betroffen sind. Zwei Wissenschaftler aus der Schweiz haben diese Annahme nun widerlegt.

Le réchauffement climatique peut avoir des conséquences fatales pour tous les organismes adaptés à un milieu particulier qui ne peuvent pas fuir ou s’envoler. Les cercles scientifiques considéraient jusqu’ici que les organismes de montagnes étaient avant tout concernés et que ceux-ci étaient donc particulièrement affectés par le réchauffement climatique. Deux scientifiques suisses réfutent cette hypothèse.


Zwei Sommer lang haben Daniel Scherrer und Christian Körner von der Universität Basel Berghänge im Furkagebiet auf 2500 Meter über Meer mit einer Spezialkamera abgetastet, die auf einem Bild die Temperatur von 76’000 Punkten in der Landschaft mittels Infrarot-Themographie erfasst. Tausende dieser Bilder ergaben feste Temperaturmosaike in der Landschaft – mit überraschenden Erkenntnissen: Auf kleinstem Raum von wenigen Metern Fläche können sich Mikrolebensräume um bis zu 7 Grad unterscheiden.
Je nach Hangneigung und Hangrichtung zur Sonne und je nach Rauhigkeit der Vegetationsoberfläche ergaben sich warme und kalte Kleinstlebensräume, wie man sie im Tiefland oder in den Wäldern nicht kennt. Aus Messungen mit Thermometern weiss man seit Langem, dass die Temperaturen von Pflanzen und kleinen Tieren punktuell stark von der Luft abweichen können. Dennoch war überraschend, dass derart starke Unterschiede über die ganze schneefreie Zeit der alpinen Landschaft quasi eingraviert sind. Die Hochgebirgslandschaft bietet also auf kleinstem Raum Fluchtmöglichkeiten vor zu warmen Bedingungen.
Die Autoren simulierten mit einem Computer, wie sich die Lebensbedingungen im Gebirge verändern könnten, wenn die Luft 2 Grad wärmer wird. Das Resultat war, dass nur gerade drei Prozent aller thermischen Nischen verloren gehen, auch wenn insgesamt das Flächenausmass kühler Flächen zurückgeht. Entscheidend ist jedoch, dass die Mehrzahl der thermischen Nischen und damit wahrscheinlich die Biodiversität erhalten bleiben. Es entstehen aber zusätzlich wärmere Kleinlebensräume, die sogar eine lokale Biodiversitätszunahme bewirken können.
Die Daten zeigen zudem, dass Klimadaten von Wetterstationen die tatsächlichen Lebensbedingungen im Hochgebirge schlecht bis gar nicht wiedergeben. Aus früheren erdgeschichtlichen Epochen ist bekannt, dass Berge wegen der Vielfalt der Lebensräume immer wichtige Rückzugsgebiete für Pflanzen und Tiere waren. Sie verdienen daher besonderen Schutz, wenn sich rasche Klimaänderungen ereignen oder abzeichnen.
Quelle: Universität Basel

Keywords:
Klimaerwärmung, Hochgebirge, Temperaturmosaik, Kleinstlebensräume

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Scherrer D., Körner C. (2010). Topographically controlled thermal-habitat differentiation buffers alpine plant diversity against climate warming. Journal of Biogeography, published online: 9 November 2010 | doi: 10.1111/j.1365-2699.2010.02407.x
http://www.unibas.ch/index.cfm?uuid=2BAB10E53005C8DEA32D3815F4547468&type=search&show_long=1

Kontaktadresse:
Prof. Ch. Koerner
Institute of Botany
Universität Basel
Schönbeinstr. 6
CH-4056 Basel

ch.koerner@unibas.ch
Tel: +41 (0)61 267 35 10


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