25.5.2010: Forschung CH

Von Aussterbe- und Einwanderungsereignissen auf nationaler Ebene

Des extinctions et des immigrations au niveau national



Nicolas Martinez, Meinrad Küttel, Darius Weber

Für ausgewählte Tiergruppen wurde am Beispiel der Schweiz der Einfluss von Aussterbe- und Einwanderungsereignissen auf die Gesamtartenzahl der letzten 107 Jahre analysiert. In diesem Zeitraum hat die Artenzahl leicht zugenommen (+ 19 Arten).

L’influence des phénomènes d’extinctions et d’immigrations sur le nombre total d’espèces à l’exemple de la Suisse au cours des dernières 107 années ont été analysé pour certains groupes d’animaux. Durant cette période, le nombre d’espèces a légèrement augmenté (+ 19 espèces).


Die Roten Listen der einzelnen Länder sowie der IUCN stellen für ausgewählte Artengruppen dar, welche Arten bereits verschwunden sind und welche zu verschwinden drohen. Der Anteil der Tierarten, welche auf den Roten Listen stehen, ist hoch. So stehen in Deutschland und in der Schweiz ca. 40 % aller evaluierten Tierarten auf den nationalen
Roten Listen.
Neben Arten, die auf nationalem Niveau verschwinden, gibt es jedoch auch solche, welche im Rahmen von natürlichen Arealausdehnungen, dank aktiver menschlicher Hilfe oder in der Folge menschlicher Landschaftsveränderungen neu in einem Gebiet heimisch werden oder zurückkehren. Falls die Summe dieser Arten in einem Gebiet höher ist als die Summe der verschwundenen Arten, nimmt die Gesamtartenzahl zu. Das regionale Aussterben von Tierarten muss daher nicht gleichbedeutend mit einem Rückgang der Gesamtartenzahl sein. Im Rahmen des Biodiversitäts-Monitorings Schweiz (BDM) wurde der Einfluss von Aussterbe- und Einwanderungsereignissen in einem grösseren Gebiet über einen Zeitraum von gut 100 Jahren untersucht. Dazu wurde für ausgewählte Tiergruppen (Säugetiere ohne Fledermäuse, Brutvögel, Reptilien, Amphibien, Fische, Rundmäuler, Tagfalter, Heuschrecken und Libellen) recherchiert, welche Arten seit 1900 immer in der Schweiz vorgekommen sind, welche erst nach 1900 neu in die Schweiz kamen und welche im besagten Zeitraum verschwunden sind.
Seit 1900 sind insgesamt 23 Arten verschwunden. 42 Tierarten sind im selben Zeitraum neu hinzugekommen. Zusätzlich zu den neu erschienenen und den verschwundenen Arten kommen noch zehn Arten hinzu, deren Status 1900 und 2007 gleich war, sich jedoch dazwischen zeitweise geändert hat. In diesem Zeitraum hat die Artenzahl somit zugenommen (+ 19 Arten).
Für den Anstieg der Anzahl Arten um 19 verantwortlich sind in erster Linie selbständig eingewanderte Tierarten aus anderen Gebieten Europas. Auffallend ist die grosse Anzahl der neu eingewanderten Wasservogelarten. Die allgemein grosse Dynamik bei den Brutvögeln überrascht insofern wenig, als dass es sich um eine sehr mobile Tiergruppe handelt. Demgegenüber erstaunt die geringe Dynamik bei den untersuchten Insektengruppen. Auch hier existieren zahlreiche sehr mobile Arten.
Die wichtigste Ursache für das Verschwinden von Arten ist, wie erwartet, die Lebensraumzerstörung. Den stärksten Einfluss scheinen dabei Gewässerkorrekturen gehabt zu haben.

Anmerkung der IBS-Redaktion:
Die Zunahme der Artenzahl in der Schweiz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Biodiversität in unserem Land in den letzten hundert Jahren insgesamt sehr stark abgenommen hat. Dies zeigt die umfassende und differenzierte Studie des Forum Biodiversität Schweiz, die im April 2010 erschienen ist (Lachat, T.; Pauli, D.; Gonseth, Y.; Klaus, G.; Scheidegger, C.; Vittoz, P.; Walter T., (Red.) 2010: Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900. Ist die Talsohle erreicht? Bristol-Stiftung, Zürich. Haupt Verlag, Bern). Zahlreiche Arten kommen nur noch in einzelnen dezimierten Beständen oder gar nur noch mit wenigen Individuen vor. Sogar Arten, die einst häufig waren, mussten in den letzten Jahrzehnten drastische Verluste hinnehmen. Solange eine Art aber nicht vollständig verschwunden ist, trägt sie weiterhin zur Gesamtartenzahl im Land bei – auch wenn ihr Bestand klein und die innerartliche Vielfalt gering ist. Die in Lachat et al. (2010) zusammengetragenen Daten führen deutlich vor Augen, wie wenig die Veränderung der Anzahl gesamtschweizerisch vorkommender Arten über den Zustand der Biodiversität aussagt.

Keywords:
Arten, Biodiversität, Aussterben, Neozoa, Dynamik

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Martinez N., Küttel M., Weber D. (2009). Deutliche Zunahme wildlebender Tierarten in der Schweiz seit 1900. Naturschutz und Landschaftsplanung 41, Heft Nr. 12, 375-381.

Kontaktadresse:
Hintermann & Weber AG
Austrasse 2a
CH-4153 Reinach BL
martinez@hintermannweber.ch
Tel: +41 (0)61 717 88 60


Zurück zur Liste