12.11.2009: Forschung CH

Die optimale Aue für Amphibien

La forêt alluviale idéale pour les amphibiens



Lukas Indermaur

Im Rahmen einer Dissertation wurden terrestrische und aquatische Habitatansprüche von Amphibien in der dynamischen Wildflussaue des Tagliamento in Norditalien quantifiziert. Die Resultate zeigen, wie ein natürlicher Amphibienlebensraum gestaltet sein muss, damit eine hohe Artendiversität möglich ist. Laichgewässer im dynamischen Gewässerbett sind zur Erhaltung gesunder Amphibienbestände von grosser Bedeutung. Der Flächenbedarf terrestrischer Populationen ist enorm; Schwemmholz ist ein Schlüsselelement.

Les exigences des amphibiens envers les habitats terrestres et aquatiques dans la forêt alluviale dynamique du Tagliamento, dans le Nord de l’Italie, ont été quantifiées dans le cadre d’une thèse de doctorat. Les résultats montrent comment un milieu naturel à batraciens doit être modeler pour permettre une haute diversité d’espèces. Des zones de frai dans la partie dynamique du lit de la rivière revêtent une grande importance pour la conservation de peuplements sains d’amphibiens. Le besoin en surfaces des populations terrestres est énorme; le bois flotté est un élément clé.


Natürliche Flussauen sind ursprüngliche Amphibienlebensräume. Die dynamische Flussaue des Tagliamento ist einer der letzten grossen und unberührten Amphibienlebensräume in Europa, und deshalb für das Beobachten natürlicher Prozesse und Verhalten von unschätzbarem Wert. Am Beispiel des Tagliamento wird klar, dass natürliche Hochwasserdynamik eine enorme Dichte und Vielfalt an Laichgewässern sowie Strukturen für die terrestrische Übersommerung ermöglicht und aufrechterhält. Alle Laichgewässertypen werden genutzt.
Laichgewässer im Flussbett sind am produktivsten und haben geringe Fressfeinddichten im Vergleich zu Laichgewässern im Auenwald. Regelmässige Hochwasser reduzieren die Fressfeinddichten in Laichgewässern des Flussbettes effektiver als im besser geschützten Auenwald. Laichgewässer im Flussbett verschwinden allerdings bei Flussregulierungen leider zuerst.
Die im Durchschnitt höheren Populationsdichten in Laichgewässern des Flussbettes implizieren, dass sich Amphibien an saisonal variable Wasserführung angepasst haben. Künstliche Wasserstandsschwankungen, welche hingegen täglich durch Wasserkraftnutzung auftreten, dürften die Laichgewässerwahl im Flussbett zur Lotterie machen. Eigelegen und Larven droht bei stark erhöhtem Abfluss zur Erzeugung von Spitzenstrom (Schwall) Verdriftung und beim anschliessenden Abflussrückgang (Sunk) Austrocknung.
Im terrestrischen Sommerlebensraum sind Beutedichte zur Deckung des Energiebedarfs sowie Unterschlupf zur Regulation des Wasserhaushalts und der Körpertemperatur zentral für Amphibien. Der Habitattyp Schwemmholz wurde deutlich überproportional zur Verfügbarkeit genutzt, entweder als Refugium vor Austrocknung und Fressfeinden oder zur Jagd. Entsprechend wird die Grösse des Sommerlebensraumes zweier Krötenarten von Unterschlupf- (Schwemmholzfläche) und Beuteangebot reguliert. Mit anderen Worten: der Flächenbedarf von Amphibien wird im terrestrischen Sommerlebensraum durch Habitatkomplexität und Produktivität bestimmt.
Der mittlere Flächenbedarf von Einzeltieren (während des Sommers) war beachtlich (Erdkröte: 570 m2; Wechselkröte: 2456 m2). Dies impliziert, dass der Flächenbedarf lebensfähiger Populationen, welche sich aus zahlreichen Individuen zusammensetzen, immens ist.
Grossräumige Flussrevitalisierungen bergen ein enormes Potential zur Förderung von Amphibien. Oberste Priorität muss die Wiederherstellung natürlicher Gewässerdynamik und des ursprünglichen Gewässerraumes unter Einbezug des Auenwaldes haben. Natürliche Gewässerdynamik ermöglicht und erhält strukturell komplexe Lebensräume und damit hohe Artendiversität. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit teurer und wiederkehrender Pflegeeingriffe reduziert.
Amphibien und zahlreiche andere Tierarten erreichten in natürlichen Flussauen einst höchste Dichten und Artenzahlen. Diese Tatsache, vor dem Hintergrund vorliegender Resultate, verdeutlicht unsere grosse Verantwortung für noch vorhandene Flussauen und Flussauenrelikte, und sollten uns verpflichten, beeinträchtigte Gewässer, wo immer möglich und sinnvoll, zu revitalisieren.


Keywords:
Amphibien, Tagliamento, Populationsgrösse, Schwemmholz, Flussauen

Art der Publikation:
Dissertation

Literatur:
Indermaur L. (2008). Aquatic and terrestrial habitat selection by amphibians in a dynamic floodplain. Thesis No. 18090, ETH Zurich. 231 S.
http://www.eawag.ch
http://www.lukasindermaur.ch

Kontaktadresse:
Dr. Lukas Indermaur
Florastrasse 15
CH-9000 St.Gallen

lukasindermaur@gmx.ch
Tel: +41 (0)71 220 38 25


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