6.10.2009: Forschung international

Flexible Räuber halten Ökosysteme im Gleichgewicht

Des prédateurs flexibles assurent la stabilité des écosystèmes



Thilo Gross et al.

Wissenschaftler haben mithilfe von Computersimulationen fundamentale Gesetzmässigkeiten aufgedeckt, die die Stabilität von Ökosystemen mitbestimmen. Nahrungsnetze sind demnach stabiler, wenn Raubtierarten an der Spitze der Nahrungskette sich von verschiedenen Beutetieren ernähren und Beutearten in der Mitte der Nahrungskette vielen Räubern ausgesetzt sind.

A l’aide de simulations sur ordinateur, des chercheurs ont mis en évidence des lois fondamentales influençant la stabilité des écosystèmes. Les réseaux trophiques sont ainsi plus stables lorsque les prédateurs se trouvant au sommet de la chaîne alimentaire se nourrissent de plusieurs sortes de proies et lorsque les espèces proies au milieu de la chaîne alimentaire sont exposés à de nombreux prédateurs.


Lebensgemeinschaften auf der Erde bilden miteinander verwobene Nahrungsketten, in denen die einzelnen Tiere und Pflanzen sowohl Beute als auch Räuber sein können. Mögliche Nahrungsnetze unterscheiden sich nicht nur darin, welche Tier- und Pflanzenarten sie umfassen, sie sind auch unterschiedlich stabil: In der Natur sind die meisten Nahrungsnetze stabil, d.h. die Wechselbeziehungen zwischen den Arten bleiben über lange Zeit konstant. Komplexe Systeme, wie z. B. Nahrungsnetze, stellen die Wissenschaft noch immer vor grosse Herausforderungen. Sie können einerseits durch Beobachtung von natürlichen Lebensräumen, andererseits durch Computersimulationen untersucht werden. Um solche Systeme am Computer simulieren zu können, müssen Forscher ihre Modelle oft stark vereinfachen und die Zahl der Einflussfaktoren möglichst klein halten. Die Simulationen sind trotzdem sehr rechenintensiv und ihre Aussagekraft ist oftmals begrenzt.
Wissenschaftler haben deshalb eine neue Methode entwickelt, mit der sich der Einfluss unzähliger Einflussfaktoren auf komplexe Systeme effizient untersuchen lässt. Mithilfe so genannter Generalisierter Modelle wurde berechnet, ob ein gegebenes Nahrungsnetz prinzipiell stabil sein kann, d.h., ob die beteiligten Arten langfristig zusammenleben können. Komplexe Ökosysteme lassen sich damit unter nahezu allen erdenklichen Bedingungen nachstellen und untersuchen. So können die Wissenschaftler abschätzen, welche Parameter Ökosysteme stabil halten und welche sie aus dem Gleichgewicht bringen.
Den Forschern ist es mit ihrem Modellierungsansatz gelungen, gleich mehrere universelle Gesetzmässigkeiten im Verhalten von Ökosystemen zu entdecken: Grosse Raubtiere stabilisieren Lebensgemeinschaften, wenn sie sich von vielen verschiedenen Arten von Beutetieren ernähren. Gleichzeitig sind Ökosysteme stabiler, wenn Beutetiere in der Mitte der Nahrungskette mehreren Raubtierarten Nahrung liefern.
Die Wissenschaftler haben darüber hinaus zusätzliche stabilisierende und destabilisierende Faktoren identifiziert. Ist das Nahrungsnetz eines Ökosystems besonders eng geknüpft, macht dies das System instabiler. Auch wenn die Bedrohung durch Raubtiere stark von der Dichte der Räuber abhängt, kann sich dies destabilisierend auswirken. Dagegen sind Nahrungsnetze eher im Gleichgewicht, wenn der Beutefang stark von der Dichte der Beutetiere abhängt.
Ein weiterer wichtiger Befund ist, dass sich Nahrungsnetze, die nur aus wenigen Arten bestehen, qualitativ anders verhalten als Netze mit vielen Arten – kleine Ökosysteme funktionieren offenbar nach anderen Regeln als grosse. Systeme mit wenig Arten sind stabiler, wenn es zwischen manchen Arten sehr starke, zwischen anderen Arten aber nur schwache Beziehungen gibt. Bei Netzen, die aus vielen Arten bestehen, ist dies offenbar genau umgekehrt. Extrem starke oder schwache Räuber-Beute Beziehungen sollten demzufolge in der Natur umso seltener sein, je grösser die Nahrungsnetze sind.


Keywords:
Nahrungsnetz, Nahrungskette, Wechselbeziehungen, Stabilität von Ökosystemen

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Gross T., Rudolf L., Levin S.A., Dieckmann U. (2009). Generalized Models Reveal Stabilizing Factors in Food Webs. Science, 10.1126/science.1173536

Kontaktadresse:
Dr. Thilo Gross
Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme
Nöthnitzer Str. 38
D-01187 Dresden

thilo.gross@physics.org


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