10.8.2009: Forschung international
Die Erhaltung der Flussperlmuschel
La conservation de la moule perlière d’eau douce
Jürgen Geist, Ralph Kuehn
Die Flussperlmuschel ist eine der anspruchsvollsten Bewohner der Flüsse Europas. Kein Wunder, dass sie mittlerweile fast ausgestorben ist. Untersuchungen zur Genetik und Ökologie der Flussperlmuschel haben gezeigt, dass diese Art nur mit einem integrierten Schutzkonzept gerettet werden kann.
La moule perlière d’eau douce est l’un des habitants les plus exigeant des rivières d’Europe. Pas étonnant qu’elle ait presque disparu entretemps. Des analyses génétiques et l’écologie de la moule perlière d’eau douce ont montré qu’on ne peut sauver cette espèce qu’avec un concept de conservation intégré.
Die Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) erreicht ein Alter von über 200 Jahren und zählt zu den Methusalems im Tierreich. Wo sie lebt und sich vermehrt, ist ein Flussökosystem noch in Ordnung. Die Muschel ist damit ein wichtiger Umweltindikator, den sich Ökologen zu Nutze machen, um Fließgewässer zu erforschen. Heute sind intakte Perlmuschelbestände in Mitteleuropa selten geworden. Verschlammungen «verstopfen» oftmals den Gewässergrund, in dem die Jungmuscheln leben. Forscher der Technischen Universität München (TUM) erforschen die Genetik und Ökologie der Flussperlmuschel und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt dieser Rote-Liste-Art.
Die anspruchsvolle Flussperlmuschel benötigt nicht nur das richtige Gewässerbett und sauberes Wasser. Sie ist auch auf einen ganz bestimmten Mitbewohner im Flussökosystem angewiesen: die Bachforelle (Salmo trutta). Die nur staubkorngroßen Muschellarven sterben, wenn sie sich nicht binnen weniger Stunden, nachdem sie vom Muschelweibchen ins Wasser abgegeben wurden, an die Kiemen einer Bachforelle heften. Dort wachsen die Glochidien genannten Larven bis zu zehn Monate lang zu etwa 0,4 mm kleinen Muscheln heran. Dann lösen sie sich von den Kiemen, lassen sich auf den Grund des Flusses sinken und vergraben sich komplett im Sediment. Erst nach vier bis fünf Jahren kommen die Flussperlmuscheln dann wieder zum Vorschein.
Die Forscher haben nun die Parasit-Wirt-Beziehung von Muschel und Forelle auf genetischer Ebene erforscht. Hierzu wurden Gewässer in Mittel-, West- und Nordeuropa untersucht und DNA-Proben von Bachforellen und Flussperlmuscheln analysiert – mit überraschenden Ergebnissen: Der Zusammenhang zwischen der genetischen Vielfalt bei Parasit und Wirt ist negativ. Dort, wo die Flussperlmuschel genetisch besonders variabel ist, da sind die Bachforellenbestände eher einheitlich. Der Grund hierfür ist die unterschiedliche Strategie von Wirt und Muschel, sich an ihre Umwelt anzupassen.
Für den Schutz der Biodiversität in Fließgewässern ergibt sich daraus eine neue Erkenntnis: Es reicht nicht, die genetische Vielfalt einzelner Arten zu betrachten, um Gebiete zu identifizieren, die wegen der genetischen Vielfalt besonders schützenswert sind. Stattdessen müssen hierzu Arten mit möglichst unterschiedlichen Lebensstrategien betrachtet werden. Integrierte Schutzkonzepte für Bachforelle und Perlmuschel müssen das ganze Ökosystem berücksichtigen, damit eine insgesamt möglichst hohe Vielfalt erhalten bleibt.
Keywords:
Flussperlmuschel, Margaritifera margaritifera, genetische Vielfalt, Schutzkonzept
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Geist J., Kuehn R. (2008). Host-parasite interactions in oligotrophic stream ecosystems: the roles of life history strategy and ecological niche. Molecular Ecology 17(4), 997-1008.
http://www.wzw.tum.de/fisch
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Jürgen Geist
Technische Universität München
Juniorprofessur Funktionelle Aquatische Ökologie und Fischbiologie
D-85350 Freising-Weihenstephan
geist@wzw.tum.de
Tel: +49 (0)8161 71 3767
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