7.10.2008: Forschung CH
Landwirtschaft und Biodiversität lassen sich nicht trennen
Felix Herzog
Im Rahmen einer Studie des «Institut National de la Recherche Agronomique» (INRA) in Frankreich haben 51 Experten und Expertinnen 2'400 wissenschaftliche Artikel zum Thema Landwirtschaft und Biodiversität analysiert. Der Synthesebericht enthält wichtige Schlussfolgerungen. Unter anderem konnte gezeigt werden, dass die Biodiversität auch im Interesse der Landwirtschaft erhalten werden muss, dass Mischkulturen die Anbausysteme der Zukunft darstellen und dass der ökologische Leistungsnachweis ein geeignetes Instrument ist, um ökologische Mindeststandards zu erreichen.
Ziel der sogenannten «Expériences Scientifiques Collectives» (ESCo) ist es, in einem Gutachten den Stand der Wissenschaft zu einem bestimmten Thema aufzuarbeiten und für Verwaltung und Politik Grundlagen für Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. Die ESCo «Agriculture et Biodiversité» wurde 2006 von den französischen Ministerien für Landwirtschaft und für Umwelt gemeinsam in Auftrag gegeben. Sie wurde von 51 Experten und Expertinnen der verschiedensten Fachrichtungen (Biologie, Agronomie, Ökologie, Recht, Soziologie) aus ganz Frankreich (zwei Teilnehmern stammten aus der Schweiz) erarbeitet. In einer umfassenden Literaturrecherche wurden mehrere 10’000 Artikel begutachtet, von denen 2’400 schliesslich ausgewertet wurden. Der Bericht der ESCo ist in vier Kapitel gegliedert und enthält wichtige Schlussfolgerungen.
1. Wirkung der Landwirtschaft auf die Biodiversität
• Die Landwirtschaft hat in den vergangenen Jahrhunderten Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten geschaffen, seit dem 2. Weltkrieg diese Lebensräume aber zunehmend zerstört.
• Bedeutung der Biodiversität: Erhöhte Störungstoleranz, Erhaltung des Potenzials für Anpassung der Landwirtschaft und der Ökosysteme an globalen Wandel, intrinsischer Wert, Wert für Landschaft und Tourismus.
• Schutz der Biodiversität: Es braucht sowohl den Schutz von gefährdeten Arten als auch der «gewöhnlichen» Biodiversität, welche ökologische Leistungen wahrnimmt.
• In komplexen Landschaften mit einem hohen Anteil an halbnatürlichen Habitaten (>30%) können diese die Intensivierung auf der Fläche bis zu einem gewissen Grad kompensieren. Soll die Biodiversität in ausgeräumten Agrarlandschaften gefördert werden, muss sowohl die Intensität reduziert als auch der Anteil an halbnatürlichen Habitaten erhöht werden.
2. Wirkung der Biodiversität auf Ökosystemfunktionen (funktionelle Biodiversität)
• Funktionelle Biodiversität: Es gibt positive (z.B. Bestäubung) und negative (z.B. Schadinsekten) Auswirkungen der Biodiversität. Positive Effekte kommen vor allem in low-input-Systemen zum Tragen. Möglicherweise werden mittelfristig die Inputs in die Agrarökosysteme sinken (aufgrund steigender Erdölpreise), so dass die funktionelle Biodiversität an Bedeutung gewinnen wird.
• Biodiversität und Naturschutzforschung: Es gibt viele Untersuchungen über gefährdete Arten, aber zu wenig über «gewöhnliche» Spezies, welche die ökologischen Funktionen wahrnehmen.
3. Voraussetzungen für eine stärkere Integration der Biodiversität in die landwirtschaftliche Praxis
• Es gibt kaum Literatur über die Voraussetzungen, die benötigt werden, um die Landwirtschaft «biodiversitätsfreundlicher» zu betreiben. Es fehlen Studien zum System des Landwirtschaftsbetriebes, zur Bedeutung des Wertesystems der Bewirtschafter, ihrer Familien und ihres Umfelds.
• Technische Hemmnisse und Anforderungen der Verarbeiter schränken den Spielraum der Landwirte ein (z.B. Anforderungen an Qualität / Homogenität / Aussehen).
• Mischkulturen und Agroforstwirtschaft sind Systeme der Zukunft, da sie gleichzeitig die vorhandenen Ressourcen besser nutzen, dadurch eine insgesamt höhere Biomasseproduktion erzielen und eine höhere Biodiversität erlauben.
• Biodiversität stärker zu fördern ist oft mit einem Mehraufwand für die Landwirte verbunden (Arbeitsbelastung oder Minderertrag). Die Effekte müssen messbar und sichtbar sein um sie zu motivieren. Innere Einstellung und Ausbildung spielen dabei eine Schlüsselrolle.
4. Möglichkeiten der öffentlichen Hand zur Förderung der Biodiversität in der Landwirtschaft
• Die «Éco-conditionalité» ist ein geeignetes und effizientes Instrument zur Umsetzung von ökologischen Mindeststandards (in der Schweiz als ÖLN praktiziert). Sie wurde in Europa 2003 eingeführt und verlangt (1) die Einhaltung bestehender Gesetze und Verordnungen (z.B. Birds directive) und (2) eine «gute landwirtschaftliche Praxis».
• Biodiversität und Landwirtschaft: Es gibt keine einfachen Rezepte «apprendre en marchant». Wichtig ist allerdings eine gute und aussagekräftige Begleitung der Massnahmen durch Evaluationen.
Keywords:
Landwirtschaft, Biodiversität, Funktionelle Biodiversität
Art der Publikation:
Bericht
Literatur:
Le Roux Xavier et al. (2008). Agriculture et biodiversité. Valoriser les synergies. Expertise scientifique collective, synthèse du rapport, Paris, INRA. 113 S.
http://www.inra.fr/l_institut/expertise/expertises_realisees/agriculture_et_biodiversite__1
Für mehr Informationen:
Kontaktadresse:
Dr. Felix Herzog
Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART
Reckenholzstrasse 191
CH-8046 Zürich
felix.herzog@art.admin.ch
Tel: +41 44 377 74 45
Zurück zur Liste