13.8.2003: Forschung CH
Fledermäuse auf Wohnungssuche
Gerald Kerth & Karsten Reckardt
Bechstein-Fledermäuse ziehen mehrmals in der Woche um. Zuvor einigen sich die Tiere auf eine neue Schlafhöhle, hat ein Nationalfonds-Projekt ergeben. Dieser Informationsaustausch könnte den Schutz der bedrohten Fledermausart erleichtern.
«Sich mit Kollegen auf eine Kneipe zu einigen, finde ich immer sehr nervig», sagt der Fledermausforscher Gerald Kerth von der Universität Zürich. Auch deshalb faszinieren ihn Bechstein-Fledermäuse: Die nachtaktiven Tiere müssen sich in ihrer Kolonie von bis zu 40 Fledermäusen tagtäglich auf einen Schlafplatz für den Tag einigen. Dabei tauschen sie untereinander rege Informationen aus, wie Kerths Team nun erstmals bei einer Fledermausart zeigen konnte. Die Arbeit haben die Forscher der Universität Zürich kürzlich im Fachmagazin «Proceedings of the Royal Society London Series B» veröffentlicht.
Zusammen mit Karsten Reckardt hängte Kerth in einem Waldstück nahe Würzburg 20 Fledermaus-Doppelkästen auf. Einer der Kästen war jeweils inwendig mit einem Maschendraht verschlossen und so zum Schlafen ungeeignet. An allen Kästen bauten die Biologen eine automatische Eingangskontrolle ein: Sie spritzten den Tieren einen kaum reiskorngrossen Sender unter die Haut, der beim Kasteneingang elektronisch abgelesen wurde. Das Forscher-Duo wollte testen, ob die Fledermauskolonie von knapp 20 Tieren geeignete Schlafkästen gezielt anfliegt, oder einfach auf gut Glück hinein schlüpft.
Effiziente Suchstrategie
In den nächtlichen Aufzeichnungen während zweier Jahre entdeckten die Forscher eine effiziente Suchstrategie: Erst prüften immer einzelne Tiere neue Kästen. Im Mittel hielten die Einzel-Besuche über drei Monate an. In dieser Zeit würden sich die Fledermäuse eine Wissensbasis aufbauen, sagt Kerth. Schliesslich zeigte die Entdeckerfledermaus ihren Kolonie-Genossinnen einen geeigneten Schlafplatz. Nach der Besichtigung, die meist um Mitternacht herum stattfand, einigten sich die Tiere auf einen Schlafplatz.
Dass einzelne Tiere der Gruppe gute Schlafplätze verraten ist nicht selbstverständlich. So mitteilsam sind die Bechstein-Fledermäuse nämlich nicht in allen Angelegenheiten: Auf ihren nächtlichen Jagdzügen fliegen die Tiere allein und verraten besonders insektenreiche Gebiete höchstens den eigenen Jungtieren, fanden Kerth und seine Mitarbeiter heraus.
Wieso aber einige Tiere auf die Suche nach Schlafhöhlen gehen, die mühsam und gefährlich sein kann, ist nicht belegt. Die Biologen vermuten, dass die Bechstein-Fledermäuse Parasiten und dem eigenen Kot entfliehen. Immerhin siedeln die Tiere bis zu 50 Mal in einem Sommer um. Ohne Entdeckerfledermäuse und deren Informationen würde die Gruppe beim Schlafplatzwechsel wohl irgendwann zerfallen, sagt Kerth.
Der Zusammenhalt der Gruppe, die nur aus verwandten Weibchen besteht, ist für die Bechstein-Fledermäuse wichtig. Denn sie ziehen ihre Jungen bevorzugt in warmen Schlafstätten auf. Trotz Schlafplatzwechsel führen die Gruppen aber kein eigentliches Vagabundenleben. Die Weibchen hausen meist ihr Leben lang im Umkreis weniger Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt. Nachts fliegen sie alleine aus, um in einem nahegelegenen Revier nach Insekten zu jagen, und kehren vor dem Morgengrauen zur Kolonie zurück.
Bedroht durch Waldpflege
Diese Ortstreue mache Bechstein-Fledermäuse besonders anfällig für Veränderungen im Wald, sagt Kerth. Sind die Tiere aus einer Region verschwunden, dauert es lange, bis sie aus benachbarten Gegenden wieder einfliegen. Tatsächlich gelten Bechstein-Fledermäuse heute als bedroht. Zugesetzt hat ihnen vor allem die Waldpflege der vergangenen Jahrezehnte: Um genügend Insekten zu finden, brauchen die Tiere möglichst naturbelassene Laubswälder mit viel Unterholz. Für ihre Umzüge sind sie zudem auf viele Baumhöhlen in altem Gehölz angewiesen, wie Studien der Zürcher Gruppe zeigen. Deren jüngste Untersuchung gibt jedoch Anlass zur Hoffnung: Durch den Informationsaustausch entdeckten die Fledermäuse neueingeführte Kästen im Durchschnitt bereits nach vier Wochen. Auf neue Schlafstätten können sich die Tiere demnach rasch einstellen.
In der Schweiz aber würden Fledermaus-Kästen in den meisten Gebieten fehlen, sagt Kerth. Das ist mit ein Grund, weshalb gerade mal zwei Kolonien bei Bischofszell und in der Gegend um Luzern bekannt sind. Vermutlich seien es bedeutend mehr, sagt der Fledermaus-Experte. So haben etwa in Bayern, wo viele Schlafkästen in den Wäldern hängen, Naturkundler über 100 Kolonien ausgemacht. Die Blütezeit der Bechstein-Fledermaus aber können Forscher aus alten Schichten in Höhlenböden nur noch erahnen: Dort sind deren Knochen von allen Fledermausarten am häufigsten. Diese Dominanz haben die Tiere mittlerweile verloren. Offenbar setze den Bechstein-Fledermäusen der menschliche Eingriff in die Wälder besonders zu, sagt Kerth.
Mit seinen Untersuchungen hofft der Forscher, die Grundlage für einen effektiven Schutz der Bestände zu liefern. Vielleicht lässt sich anhand seiner Arbeiten von den Tieren auch einiges für die nächste Kneipentour lernen: Da Bechstein-Weibchen bis zu zwanzig Jahre alt werden, bleiben die Tiere einer Kolonie über viele Jahre zusammen. Trotz ihrer häufigen Umzüge aber konnte Kerth bislang nie einen Streit innerhalb einer Gruppe beobachten. «Die sind extrem friedfertig», sagt der Forscher bewundernd.
Keywords:
Bechsteinfldermaus, Informationstransfer, Kooperation, Quartierwahl, Naturschutz
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Kerth G. & Reckardt K. (2003): Information transfer about roosts in female Bechstein's bats: an experimental field study. Proceedings of the Royal Society London Series B, Bd. 270, S. 511
Kontaktadresse:
Dr. Gerald Kerth, Universität Zürich, Institut für Zoologie, Winterthurerstrasse 190, CH-8057 Zürich
kerth@zool.unizh.ch
Tel: +41 (0)1 635 52 76
Fax: +41 (0)1 635 54 90
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