13.8.2003: Forschung CH
Verflogene Vielfalt im Kulturland
Lukas Kohli und Simon Birrer
Eine aktuelle Bilanz der Schweizerischen Vogelwarte Sempach bringt es an den Tag: Der grösste Teil des Kulturlands taugt heute nur noch für wenige Vogelarten als Lebensraum. Besonders gravierend ist die Situation in den Landwirtschaftsgebieten im Mittelland: Weder die Fläche noch die Qualität der Lebensräume ist für die Vögel ausreichend.
Gute Lebensräume für Vögel sind vielerorts Mangelware geworden. Dies ist das ernüchternde Ergebnis einer gross angelegten Studie der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Besonders in der Landwirtschaftszone des Mittellandes fällt die Bilanz sehr negativ aus: Naturnahe Landschaftselemente sind selten, meist zu klein und ihre Qualität für die Tierwelt oft ungenügend. Als Folge davon sind heute 40 % der einheimischen Vogelarten bedroht.
Fehlende Ausstattung der Lebensräume
Vögel brauchen zum Leben vor allem Platz. Damit dieser Raum zu einem Lebensraum wird, muss er entsprechend ausgestattet sein. Einzelne Bäume, Baumgruppen, Obstgärten, Hecken, Wildkrautfluren, Blumenwiesen, Feuchtgebiete oder Gewässer bieten Nahrungsgründe, Brutplätze und Verstecke. Gerade der Mix dieser Elemente machen den Wert einer Landschaft aus. Doch fast die Hälfte der untersuchten Flächen weisen weniger als 5 % naturnahe Landschaftselemente auf und müssen deshalb als ökologisch weitgehend verarmt taxiert werden.
Ein weiterer Mangel liegt bei der fehlenden Qualität der vorhandenen naturnahen Landschaftselemente. Zum Beispiel stehen neun von zehn Hochstamm-Obstgärten auf intensiv genutzten Wiesen - doch dort sind Grossinsekten rar. Einst weit verbreitete Obstgarten-Arten wie Wendehals, Steinkauz, Wiedehopf oder Rotkopfwürger finden deshalb kaum genügend Nahrung und haben längst viele Landstriche geräumt. Die Heckendichte ist in vielen Landesteilen gering und die Zusammensetzung der Hecken lässt sehr oft zu wünschen übrig. Mit zusätzlichen Krautsäumen und einer verbesserten Pflege könnte viel gewonnen werden.
Für die Artenvielfalt im Kulturland ist die Landwirtschaft zwar hauptverantwortlich, sie ist es aber längst nicht alleine. Überbauungen, Verkehrsträger und der Betrieb durch Erholungsuchende engen die Lebensräume ein. Falsch verstandener Ordnungssinn führt oft zu einer übertriebenen Pflege z.B. durch kantonale und kommunale Unterhaltsequipen. So zum Beispiel bei den Säumen entlang der Wege und Gewässer, die zu häufig und zu früh geschnitten werden. Durch weniger, aber zielgerichtete Pflege liesse sich mit einem wesentlich geringeren Aufwand eine ökologische Aufwertung erzielen.
Umfassende Grundlagen
Die Schweizerische Vogelwarte Sempach beschäftigt sich seit den 1980er-Jahren intensiv mit den Vogelarten des Kulturlandes. Um die Zusammenhänge erkennen zu können, wurde der ökologische Zustand des Kulturlandes in einem "Lebensraum-Inventar" erfasst. Die einzigartige Datenbank umfasst 127 von Genf bis ins St. Galler Rheintal verteilte Gebiete mit einer Gesamtfläche von 787 km2. Die jetzt vorgestellte Analyse basiert auf diesen um-fangreichen Daten.
Aufwertung ist notwendig und machbar
Neben allen negativen Signalen gibt es auch positive Zeichen. In verschiedenen Fallbeispielen hat die Schweizerische Vogelwarte Sempach den Tatbeweis erbracht, dass es möglich ist, das Kulturland in enger Zusammenarbeit mit den Landwirten erfolgreich aufzuwerten. Wo bestehende Lebensräume ökologisch verbessert und neue angelegt wurden, haben die Bestände verschiedener gefährdeter Tierarten oft unerwartet rasch wieder zugenommen.
Art der Publikation:
Bericht
Literatur:
Kohli L., & Birrer S. (2003): Verflogene Vielfalt im Kulturland - Zustand der Lebensräume unserer Vögel. Avifauna Report Sempach Band 2, 72 Seiten, mit CD-ROM. Preis: Fr. 25.-, ISSN 1424-7976
http://www.vogelwarte.ch
Kontaktadresse:
Simon Birrer, Schweizerische Vogelwarte, 6204 Sempach
Tel: +41 (0)41 462 97 38
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