28.9.2007: Forschung CH
Rückzug auf die Gipfel
Oliver Bettin et al.
Hallers Kreuzkraut hat die Eiszeiten auf eisfreien Berggipfeln, so genannten Nunatakern, überlebt. Das zeigen genetische Untersuchungen eines Forschungsteams der ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. Damit stützt die Gruppe die entsprechende Theorie, wonach Nunataker in den Hochalpen für Pflanzen eiszeitliche Refugien waren.
Haben Alpenpflanzen die Eiszeit am Rand der Gletscher überdauert oder ist ihnen dies auf Nunatakern, hohen Bergen, die aus dem Gletscherstrom herausragten, geglückt? Nur eine Pflanzenart hat bisher für die Nunataker-Theorie gesprochen: der blaublühende Himmelsherold Eritrichium nanum. Viele andere Pflanzen, meist solche, die Kalkuntergrund bevorzugen, sprechen hingegen für die Theorie der Randrefugien.
Eine genetische Untersuchung an Hallers Kreuzkraut (Senecio halleri) stärkt nun aber die Nunataker-Theorie. Die Studie hat gezeigt, dass diese Hochgebirgspflanze auf Berggipfeln der Zentralalpen ausharrte bis Tauwetter einsetzte. Um herauszufinden, ob und wo Hallers Kreuzkraut die Eiszeiten überdauerte, sammelten die Forscher 140 Pflanzen von 14 verschiedenen Standorten im heutigen Verbreitungsgebiet und erstellten anhand der Chloroplasten-DNS sieben verschiedene genetische Profile. Die Verbreitung und Diversität dieser Profile zeigte den Wissenschaftlern, wo Hallers Kreuzkraut während der letzten Eiszeit überdauerte: auf Gipfeln in den Savoyer Alpen und im Südostwallis. In diesen zwei Regionen – insbesondere auf dem Gornergrat ob Zermatt – ist die genetische Vielfalt der Kreuzkrautbestände am grössten. Sechs der insgesamt sieben DNS-Profile konnten alleine auf dem Gornergrat nachgewiesen werden. In den nach der Eiszeit wiederbesiedelten Gebieten war die genetische Diversität hingegen gering.
Hallers Kreuzkraut kam wohl vor der letzten Maximalvergletscherung vor 20'000 Jahren in den Südwestalpen flächendeckend mit grosser genetischer Variabilität vor. Als die Alpen aber zunehmend mit Eis bedeckt wurden, schrumpften die Bestände auf ihre Nunataker-Refugien zusammen. Dort überdauerte die Pflanzenart die letzte Eiszeit in zwei völlig getrennten Regionen in Savoyen und im Wallis. Das Eis und die Distanz zwischen den Refugien verhinderten, dass sich die Populationen austauschen konnten.
Erst nach dem Abtauen konnte sich Hallers Kreuzkraut wieder ausbreiten. In den Eiszeitrefugien blieb die genetische Vielfalt erhalten und beweist, dass die Art dort überdauerte. In den neu besiedelten Gebieten setzte sich allerdings nur noch eine Variante durch. Weshalb sich genau diese eine Variante von Senecio halleri durchgesetzt hat, ist unklar. Studien über das Evolutionspotenzial einer Pflanzenart sind aufwändig und wurden bis jetzt noch nie in umfassender Weise durchgeführt. Wichtig wäre eine solche Arbeit allemal, da sie zeigen könnte, wie Pflanzen mit dem Klimawandel umgehen.
Keywords:
Genetische Diversität, Alpenpflanzen, Eiszeit
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Bettin O., Cornejo C., Edwards P.J., Holderegger R. (2007) Phylogeography of the high alpine plant Senecio halleri (Asteraceae) in the European Alps: in situ glacial survival with postglacial stepwise dispersal into peripheral areas. Molecular Ecology 16, 2517-2524
Kontaktadresse:
Rolf Holderegger
Eidg. Forschungsanstalt WSL
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
rolf.holderegger@wsl.ch
Tel: +41 (0)44 739 25 27
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