20.9.2006: Forschung international
Stadtvögel bleiben gelassen
J. Partecke, I. Schwabl, E. Gwinner
Ornithologen haben nachgewiesen, dass Stadtvögel gegen akuten Stress resistenter sind als ihre Artgenossen aus den Wäldern. Diese Reaktion hat vermutlich eine genetische Basis und ist das Resultat der urbanen Selektionsfaktoren, denen Stadtvögel ausgesetzt sind.
Viele Tierarten besiedeln sehr erfolgreich das Siedlungsgebiet. Allerdings sind diese so genannten Kulturfolger auch vielen neuen und potenziell stressvollen Störungen ausgesetzt, wie z.B. die permanente Präsenz des Menschen, hohe Dichte an Haustieren, erhöhter Lärm- und Lichtpegel sowie starker Stadtverkehr.
Wirbeltiere - so auch der Mensch - bewältigen solche ungünstigen Umweltbedingungen mit einer akuten Stress-Antwort, welche sich durch die rasche Ausschüttung von Glukokortikoid-Steroid-Hormonen auszeichnet. Die unmittelbare, aber kurzzeitige Ausschüttung dieser Hormone wird als nützliche Anpassung betrachtet. Denn sie hilft, bestimmte verhaltensphysiologische Änderungen auszulösen, um auf den akuten Stressfaktor schnell reagieren zu können. Unter anhaltenden Stresssituationen aber können die chronisch erhöhten Stresshormone erhebliche gesundheitliche Folgen haben: So können sie Fortpflanzung, Immunabwehr und Hirnfunktion beeinträchtigen. Folglich würden Tiere, die in Städten leben, unter den urbanen Bedingungen deutlich leiden, wenn sie ihre Stressantwort nicht den Stadtbedingungen angepasst hätten.
Während Verhaltensänderungen von Stadtvögeln schon öfter dokumentiert worden sind, war bis jetzt nicht bekannt, ob das Stadtleben auch von Änderungen in der physiologischen Stressantwort begleitet ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind dieser Frage nachgegangen. Sie zogen Amsel-Nestlinge aus München und einem 40 Kilometer von München entfernten Waldgebiet von Hand auf und hielten beide Gruppen über einen Zeitraum von einem Jahr zusammen in einem Raum. Unter normalen, d.h. «stressfreien» Bedingungen unterschieden sich Stadt- und Waldamseln nicht in ihrer Korikosteron-Ausschüttung. Unter Stress zeigten die Stadtamseln dagegen eine deutlich verminderte Stressantwort als die Waldamseln.
Diese Ergebnisse belegen erstmals, dass das Stadtleben verhaltensphysiologische Mechanismen, die zum Überleben notwendig sind, in Wildtieren deutlich verändert. Eine solche reduzierte hormonelle Stressantwort könnte allgegenwärtig und vermutlich bei vielen Tierarten, die in Städten erfolgreich leben, erforderlich sein. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Unterschied in der hormonellen Stressantwort zwischen Stadt- und Waldamseln genetisch festgelegt und wahrscheinlich das Ergebnis der extremen Selektionsfaktoren in der Stadt ist, wodurch jene Individuen einen Vorteil erlangen, die besser mit den «urbanen» Stressfaktoren zurechtkommen.
Keywords:
Siedlungsgebiet, Stadtökologie, Vögel, Stress
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Partecke J., Schwabl I., Gwinner E. (2006). Stress and the city: Urbanization and its effects on the stress physiology in European blackbirds. Ecology 87, 1945-1952.
http://www.mpg.de/instituteProjekteEinrichtungen/institutsauswahl/ornithologie/index.html
Kontaktadresse:
Dr. Jesko Partecke, Max-Planck-Institut für Ornithologie, Von-der-Tann-Str. 7, D-82346 Andechs/Seewiesen
partecke@orn.mpg.de
Tel: +49 (0)8152 373 130
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