18.3.2025: Forschung international
Gebietsfremd und im Ursprungsareal bedroht: Artenschutz wird immer komplexer
Espèces exotiques menacées dans leur aire de répartition d’origine : la protection des espèces de plus en plus compliquée
Lisa Tedeschi et al.
Von weltweit 230 Säugetierarten, die sich infolge menschlicher Aktivitäten dauerhaft ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets etabliert haben, gelten 36 Arten in ihren ursprünglichen Heimatgebieten als bedroht. Die vom Menschen geschaffenen nicht-heimischen Vorkommen könnten für diese Arten eine Überlebensversicherung darstellen, gleichzeitig aber die Biodiversität in den neuen Verbreitungsgebieten gefährden. Diese paradoxe Situation zeigt beispielhaft, wie die Globalisierung den Artenschutz vor immer komplexere Herausforderungen stellt.
Sur les 230 espèces de mammifères dans le monde qui se sont établies durablement en dehors de leur aire de répartition naturelle en raison des activités humaines, 36 sont considérées comme des espèces menacées dans leur aire de répartition d’origine. Les espèces non indigènes introduites par l’homme pourraient représenter une assurance pour leur survie, tout en constituant en même temps un danger pour la biodiversité dans leur nouvelle aire de répartition. Cette situation paradoxale illustre bien la manière dont la mondialisation pose des défis de plus en plus complexes à la protection des espèces.
Es ist ein Naturschutzparadoxon: Zahlreiche nicht-heimische Säugetierarten, die in ihren neuen Verbreitungsgebieten potenziell invasiv sein können, sind in ihren ursprünglichen Heimatregionen bedroht. Forschenden haben dieses Phänomen am Beispiel von 230 Säugetierarten untersucht, die sich dauerhaft in neuen Gebieten etabliert haben. 36 dieser Arten stehen in ihren Ursprungsgebieten auf der Roten Liste. Diese hohe Zahl stellt den Naturschutz vor ein Dilemma: Sollen die Populationen gebietsfremder aber bedrohter Arten bekämpft oder geschützt werden?
Ein gutes Beispiel ist der Schopfmakake, dessen Bestand in seinem natürlichen Verbreitungsgebiet auf Sulawesi seit 1978 um 85 Prozent eingebrochen ist, während er sich auf anderen indonesischen Inseln erfolgreich etabliert hat. Ähnlich verhält es sich beim europäischen Wildkaninchen, das in seiner Heimat gefährdet ist, in Australien jedoch grosse und stabile Populationen aufgebaut hat.
Die meisten der betroffenen Arten stammen aus dem tropischen Asien, wo Regenwaldzerstörung und Überjagung ihre natürlichen Populationen dezimieren. Die vom Menschen geschaffenen nicht-heimischen Vorkommen könnten für diese Arten eine Überlebensversicherung darstellen. Für 22 Prozent der analysierten Arten würde sich das globale Aussterberisiko verringern, wenn die nicht-heimischen Vorkommen in die Gefährdungsbewertung einbezogen würden. Dies unterstreicht die potenzielle Bedeutung dieser Populationen für den Arterhalt – besonders wenn im Heimatgebiet ein hoher Gefährdungsdruck besteht. Allerdings birgt dies auch Risiken und könnte dazu führen, dass der Schutz der ursprünglichen Vorkommen vernachlässigt wird. Zudem können nicht-heimische Populationen erhebliche negative Auswirkungen auf andere Arten haben.
Die Forschungsergebnisse verdeutlichen die zunehmende Komplexität des globalen Artenschutzes. Mit fortschreitender Globalisierung wird es vermutlich mehr Arten geben, deren Überlebenschancen in neuen Verbreitungsgebieten besser sind als in ihrer ursprünglichen Heimat. Für den praktischen Naturschutz bedeutet dies, Chancen und Risiken sorgfältig gegeneinander abzuwägen und möglicherweise neue Bewertungskriterien für den Umgang mit nicht-heimischen Arten zu entwickeln.
Quelle: Universität Wien
Keywords:
Naturschutz, globale Gefährdung, Anthropozän, Abwägungen
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Tedeschi L. et al. (2024): Threatened mammals with alien populations: distribution, causes, and conservation. Conservation Letters, e13069.
Link zur Studie (freier Zugang):
Kontaktadresse:
Lisa Tedeschi
Universität Wien
Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
Rennweg 14
AUT-1030 Wien
lisa.tedeschi@univie.ac.at
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