1.10.2024: Forschung international

Reifenabrieb bedroht Süssgewässer

L’usure des pneus menace les eaux douces



Lorenzo Rigano et al.

Ein toxisches Gemisch kleinster Partikel aus dem Strassenverkehr schädigt Wasser-Organismen. Forschende warnen vor dieser unterschätzten Gefahr für unsere Umwelt.

Un mélange toxique de minuscules particules provenant du trafic routier porte préjudice aux organismes aquatiques. Des chercheurs mettent en garde sur ce danger sous-estimé pour notre environnement.


Die negativen Auswirkungen des Strassenverkehrs auf die Umwelt, das Klima und die menschliche Gesundheit sind allgemein bekannt und werden in der Gesellschaft breit diskutiert. Dabei stehen vor allem der CO2-Ausstoss und die Verschmutzung der Luft durch Abgase im Fokus. Den Emissionen, die nicht direkt in die Luft abgegeben werden, wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei können die nano- bis mikrometergrossen Partikel, die kontinuierlich durch die Abnutzung von Reifen und Strassenoberflächen entstehen, durch Wind, Regen und Wasserabfluss leicht in der Umgebung und auch in Gewässer verteilt werden.
Wissenschaftler haben nun die Auswirkungen von Reifenabriebpartikeln auf Larven der Zuckmückenart Chironomus riparius untersucht, eines der häufigsten Lebewesen in Gewässerökosystemen. Sie kamen zu deutlichen Ergebnissen: Der Reifenabrieb beeinträchtigt das Überleben, die Entwicklung und die Fortpflanzung der Organismen.
Die winzig kleinen Reifen- und Strassenabriebpartikel – kurz TRWP – sind eine chemisch komplexe Mischung aus vielen verschiedenen Komponenten wie Mikroplastik, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs), Mineralölen, Metallen und synthetischen Chemikalien, einschliesslich Reifengummizusätzen und Weichmachern. Über 20’000 Tonnen von diesem Gemisch werden jedes Jahr allein in Deutschland in Gewässer eingetragen, vor allem durch ungefilterten Strassenabfluss.
Die Forscher analysierten Sedimente aus strassennahen Rückhaltebecken und bestimmten zunächst die Menge und die Zusammensetzung des darin enthaltenen Reifenabriebs. Die Zuckmücken-Larven wurden dann unterschiedlichen Konzentrationen der Sedimente ausgesetzt. Anschliessend untersuchten die Forschende Parameter wie Sterblichkeit, Entwicklung, Geschlechterverhältnis, Fruchtbarkeit und Grösse.
In den urbanen Sedimenten fanden die Forscher ein hochkomplexes, für die Verschmutzung durch Strassenabflüsse typisches Stoffgemisch. Diese Mischung hatte bei den Laboruntersuchungen komplexe und deutlich schädliche Auswirkungen auf die Mückenlarven und die adulten Organismen. Das kontaminierte Sediment erhöhte die Sterblichkeit um fast 30 Prozent. Auch die Fruchtbarkeit nahm sichtbar ab und es kam zu einer Verringerung der Zahl fruchtbarer Eier pro Weibchen. Die Populationswachstumsrate war je nach Konzentration signifikant verringert. Die in den Partikeln enthaltenen Schadstoffe wirken sich zusammen toxischer auf Wasserorganismen aus, als es jede einzelne Komponente alleine tun würde.
Als besonders besorgniserregend stellt die Studie heraus, dass die beobachteten Fortpflanzungsstörungen möglicherweise über mehrere Generationen hinweg bestehen bleiben könnten. Zudem enthalten TRWPs eine Vielzahl von Chemikalien und Schadstoffen, die sich im Körpergewebe anreichern können und so über die Nahrungskette kaskadenartige Auswirkungen auf Süßwasserökosysteme haben können.

Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Keywords:
Gewässer, Wasserorganismen, Reifenabrieb, Schadstoffe, Verkehr

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Rigano L. et al. (2024): Mind your tyres: The ecotoxicological impact of urban sediments on an aquatic organism. Science of The Total Environment Volume 951. doi.org/10.1016/j.scitotenv.2024.175597


Link zur Studie (freier Zugang)

Kontaktadresse:
Markus Pfenninger
Senckenberg Biodiversität und Klima
Forschungszentrum Frankfurt
Georg-Voigt-Straße 14-16
D-60325 Frankfurt am Main
markus.pfenninger@senckenberg.de


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