1.10.2024: Forschung international
Umweltstudierende: Oftmals ungenügendes Wissen zu den Ursachen des Biodiversitätsverlusts
Les étudiant·e·s en environnement ne connaissent souvent pas assez les causes du déclin de la biodiversité
Matthias Winfried Kleespies, Max Hahn-Klimroth und Paul Wilhelm Dierkes
Umweltstudierende weltweit haben Wahrnehmungslücken, was die Ursachen des globalen Biodiversitätsverlusts betrifft. Die Lücken sind von Land zu Land verschieden: In manchen Ländern wird eher der Klimawandel als Ursache unterschätzt, in anderen der Faktor invasive Arten, in dritten die Verschmutzung.
Les étudiant·e·s en environnement à travers le monde ont des lacunes dans la perception des causes du déclin de la biodiversité mondiale. Ces lacunes sont différentes d’un pays à l’autre : dans certains pays, c’est plutôt le changement climatique qui est sous-estimé en tant que cause, dans d’autres pays ce sont le facteur des espèces invasives, dans d’autres encore la pollution.
Von den geschätzt 10 Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Erde könnten in den nächsten Jahrzehnten eine Million aussterben. Es braucht also dringend konsequente politische Massnahmen gegen das «sechste Massenaussterben» der Erdgeschichte. Eine Personengruppe, auf die es besonders ankommt, sind die heutigen Studierenden im Umweltbereich. Aber wie gut sind die Entscheiderinnen und Entscheider von morgen überhaupt informiert?
Forschende haben dazu eine Online-Umfrage bei rund 4400 Studenten der Umweltwissenschaften in 37 Ländern durchgeführt. Der Fragebogen listete acht Ursachen für den globalen Biodiversitätsverlust auf. Darunter die fünf tatsächlichen Hauptgründe: Klimawandel (vermehrte Dürren und andere Folgen der Erwärmung), Übernutzung (etwa Überfischung), Lebensraumverlust (etwa durch Rodungen), Verdrängung durch invasive Arten und schliesslich Verschmutzung (z. B. Luftverschmutzung). Zusätzlich waren drei Faktoren aufgeführt, die keinen oder kaum Einfluss auf die Artenvielfalt haben: Elektrosmog, Fabrik- und Fahrzeuglärm sowie das Internet. Die Umweltstudierenden sollten angeben, in welchem Mass die acht Faktoren ihrer Meinung nach für den Rückgang der Biodiversität verantwortlich sind. Die Skala reichte von 1 (geringer Einfluss) bis 5 (sehr starker Einfluss).
Die ausgefüllten Fragebögen wurden mittels einer speziellen Methode analysiert, die Muster in Daten erkennt. Am Ende bildeten sich so insgesamt acht unterschiedliche Cluster mit Anhäufungen bestimmter, gut voneinander unterscheidbarer Antworttypen heraus. Antworttyp 1 unterschätzt zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels, Typ 3 unterschätzt alle Hauptursachen und unterscheidet diese nicht von den irrelevanten Faktoren wie Lärm. Insgesamt kommen die acht Antworttypen in den befragten Ländern in unterschiedlicher Häufigkeit vor.
Im nächsten Auswertungsschritt ging es um die Hintergründe der Antworten: Was bedingt die unterschiedlichen Antworttypen? Dafür bezogen die Forschenden länderspezifische Indikatoren ein: den CO2-Ausstoss des Landes sowie Indikatoren für Wohlstand, Umwelt und Biodiversität. Die Forschenden stellten fest, dass diese Indikatoren die Wahrnehmung der Studenten im jeweiligen Land erheblich beeinflussen.
Antworttyp 1 (Unterschätzung der Klimawandeleffekte) zum Beispiel kommt in Ländern mit sehr hohem CO2-Ausstoss – etwa Russland, China, Saudi-Arabien – deutlich häufiger vor. Die Forschenden vermuten, dass die Umweltstudenten in diesen Ländern nicht so sensibilisiert sind. Es fehlt im Studium an Aufklärung darüber, dass auch der Klimawandel den Verlust der Artenvielfalt verstärkt. Antworttyp 7 (Unterschätzung der invasiven Arten), ist dagegen in Ländern wie Nigeria und Kenia, in denen invasive Arten weniger häufig sind, eher verbreitet. In Australien und Spanien kommt Typ 7 dagegen nur selten vor – gerade dort stellen invasive Arten ein großes Problem dar.
Die Studie zeigt die grossen Wahrnehmungslücken, die die nächste Generation der Entscheidungstragenden im Umweltbereich beim Thema Artenvielfaltverlust und seinen Ursachen hat. Diese Lücken müssen geschlossen werden. Gefragt sind die heutigen Entscheidungstragenden an den Universitäten und in der Politik. Sie müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass im Umweltstudium des jeweiligen Landes alle Ursachen des komplexen Problems behandelt werden.
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt
Keywords:
Universitäten, Sensibilisierung, Lehre
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Kleespies M.W., Hahn-Klimroth M., Dierkes P-W. (2024): Perceptions of biodiversity loss among future decision-makers in 37 countries. npj Biodiversity. doi.org/10.1038/s44185-024-00057-3
Link zur Studie (freier Zugang)
Kontaktadresse:
Matthias Kleespies
Abteilung Didaktik der Biowissenschaften und Zootierbiologie
Goethe-Universität Frankfurt
D-60438 Frankfurt am Main
kleespies@em.uni-frankfurt.de
Zurück zur Liste