7.2.2023: Forschung international
Mensch und Natur entfernen sich zunehmend
Les humains et la nature s’éloignent de plus en plus
Victor Cazalis, Michel Loreau und Gladys Barragan-Jason
Die Menschen leben immer weiter von Naturräumen entfernt und beschäftigen sich tendenziell auch seltener mit der Natur. Dabei hängt umweltfreundliches Verhalten massgeblich von diesen Naturerfahrungen ab – und damit die Bewältigung der globalen Umweltkrisen.
Les êtres humains vivent toujours plus éloignés des espaces naturels et s’occupent globalement de moins en moins de la nature. Alors qu’un comportement respectueux de l’environnement est intimement lié à cette expérience de la nature – et par conséquent à la maîtrise des crises environnementales mondiales.
Die Annahme, dass die Menschen weltweit immer weniger Naturerfahrung machen, ist weit verbreitet, aber es gibt kaum empirische Beweise dafür. In einer Metastudie wurde nun untersucht, wie sich die durchschnittliche Entfernung zwischen dem Wohnort eines Menschen und dem nächstgelegenen naturnahen Gebiet im letzten Jahrzehnt verändert hat. Die Forschenden fanden heraus, dass die Menschen heute im weltweiten Durchschnitt 9,7 km von einem Naturgebiet entfernt leben, was einer Vergrösserung der Distanz um 7 % gegenüber dem Jahr 2000 entspricht. In Europa, Ostasien und Nordamerika ist diese Entfernung überdurchschnittlich gross. Die Forschenden fanden zudem heraus, dass der Baumbestand in den Städten seit 2000 weltweit zurückgegangen ist, insbesondere in Zentralafrika und Südostasien. Die Zerstörung von Naturräumen in Verbindung mit einem starken Anstieg der städtischen Bevölkerung führt offenbar zu einer wachsenden räumlichen Distanz zwischen Mensch und Natur.
In derselben Studie suchten die Forschenden systematisch nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in denen Naturerlebnisse qualitativ und quantitativ untersucht wurden – von direkten Erlebnissen wie Wanderungen in Nationalparks bis hin zu künstlichen Erlebnissen, beispielsweise Naturkulissen in Zeichentrickfilmen, Computerspielen oder Büchern. Studien, die sich bisher diesem Thema angenommen haben, sind sehr selten (N=18) und wurden überwiegend in den USA, Europa und Japan durchgeführt. Ob also Naturerlebnisse generell zurückgehen, ist noch unzureichend belegt.
Die 18 gefundenen Studien zeigen unter anderem einen Rückgang der Besuche in Naturparks in den USA und Japan, einen Rückgang der Campingaktivitäten in den USA sowie eine geringere Anzahl von Pflanzenarten, die von japanischen Kindern beobachtet wurden. Ausserdem finden sich in Romanen, Liedern, Kinderbüchern und Zeichentrickfilmen tendenziell immer weniger Naturbilder.
Während diese Beispiele auf einen Rückgang der Naturbezüge hindeuten, bleiben andere Interaktionen gleich oder nehmen sogar zu. So erfreuen sich Dokumentationen über Wildtiere oder Videospiele mit Wildtieren grösserer Beliebtheit als noch vor einigen Jahren. Frühere Studien zeigen jedoch, dass diese «Naturerlebnisse» ein Gefühl der Naturverbundenheit weniger fördern als direkte Naturerlebnisse.
Quelle: idiv.de
Keywords:
Natur-Mensch-Beziehung, Naturerlebnisse
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Cazalis V., Loreau M., Barragan‐Jason G. (2022): A global synthesis of trends in human experience of nature. Frontiers in Ecology and the Environment. doi.org/10.1002/fee.2540
Link zur Studie (freier Zugang)
Kontaktadresse:
Dr. Victor Cazalis
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Universität Leipzig
Puschstrasse 4
D-04103 Leipzig
victor.cazalis@idiv.de
Tel: +49 (0)341 9733224
Zurück zur Liste