7.2.2023: Forschung CH

Wieder aufgetauchte Schneckenart gehört zu einer anderen genetischen Form

Espèce de gastéropode réapparue : forme génétique différente



Bruno Baur, Peter Müller, Patrick Steinmann, Peter Landert, José Gligado und Hans-Peter Rusterholz

Zwanzig Jahre nach ihrem vermuteten Aussterben wurde die Flusskahnschnecke im Rhein bei Basel wiederentdeckt. Genetische Analysen zeigen aber, dass die Wiederbesiedler zu zwei Formen gehören, deren Herkunftsgebiet die Region um das Schwarze Meer ist. Schnecken dieser standortfremden Formen haben andere ökologische Eigenschaften als die ursprüngliche Flusskahnschnecke, was sich auf die lokale Biodiversität auswirkt.

Vingt ans après son extinction présumée, le nérite des rivières a été redécouvert dans le Rhin à Bâle. Mais les analyses génétiques montrent que les individus qui l’ont recolonisé appartiennent à deux formes dont l’aire d’origine est la région de la mer Noire. Les gastéropodes de ces formes non locales ont des caractéristiques écologiques différentes de celles du nérite des rivières d’origine, ce qui a des impacts sur la biodiversité locale.


Die Flusskahnschnecke Theodoxus fluviatilis ist für ihr mit Streifen und Punkten gemustertes Gehäuse bekannt. In der Schweiz kam die Art ursprünglich nur im Hochrhein zwischen Rheinfelden und Basel vor. Aus bisher unbekannten Gründen nahmen aber ihre Bestände in diesem Rheinabschnitt um die Jahrhundertwende dramatisch ab. Im Jahre 2004 wurde sie im Hochrhein als ausgestorben betrachtet. Umso erfreulicher war die Wiederentdeckung der Flusskahnschnecke an verschiedenen Stellen im Rhein zwischen Basel und Schweizerhalle im Herbst 2020. In Flussabschnitten mit günstigen Lebensraumbedingungen zählten Forscher der Universität Basel bis zu 300 Schnecken pro Quadratmeter. Auffällig war aber, dass die Wiederbesiedler sich in der Gehäusemusterung von ihren Vorgängern unterscheiden.
Es ist bekannt, dass bei der Flusskahnschnecke verschiedene genetische Formen vorkommen, die jeweils charakteristisch für ein Flusssystem oder eine Region sind. Eine Untersuchung, bei der Genmaterial (DNA) von Schnecken des ursprünglichen Bestandes im Rhein, die in einer Sammlung aufbewahrt worden waren, mit DNA der neu aufgetauchten Schnecken verglichen wurde, erbrachte ein überraschendes Ergebnis. Die Gensequenzen der Wiederbesiedler unterschieden sich deutlich von denjenigen der ursprünglich im Hochrhein vorkommenden Flusskahnschnecken. Die Analysen zeigten, dass die Neubesiedler zu zwei verschiedenen genetischen Formen der Flusskahnschnecke gehören, deren Herkunftsgebiet Gewässer in der Region des Schwarzen Meeres sind.
Wie gelangen aber diese standortfremden Formen in den Rhein? Die in den letzten Jahrzehnten weltweit gestiegene Mobilität und der globalisierte Handel führen immer häufiger zu einem zufälligen Einschleppen nicht-einheimischer Arten. Ein Teil dieser Neobionten kann sich in den neuen Standorten stark vermehren und so negative Auswirkungen auf die Umwelt haben, beispielsweise einheimische Arten durch Konkurrenz verdrängen. Durch die Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals (1992/93) wurde der Rhein direkt mit dem Schwarzen Meer verbunden. Dies erlaubte den dort ansässigen Flusskahnschnecken – angeheftet an Schiffen und versteckt in Kiestransporten – schrittweise die Donau, den Main und vor wenigen Jahren den Rhein zu besiedeln.
Die einheimische Flusskahnschnecke war an kühle Wassertemperaturen angepasst, ernährte sich vom Algenbewuchs auf Steinen in der Flusssohle und trug so zur natürlichen Wasserreinigung bei. Die eingeschleppte Flusskahnschnecke ist ein Generalist; sie erträgt warme Wassertemperaturen und kann auch auf künstlichen Substraten wie Betonmauern in Hafenbecken leben. Sie ersetzt also nur teilweise die Funktion der ursprünglichen Flusskahnschnecke und verändert dadurch das Ökosystem.
In der Fachwelt wird das Auftauchen von Arten wie der Flusskahnschnecke als «kryptische Invasion» bezeichnet, da sie anhand des Aussehens nicht eindeutig von der einheimischen Art unterschieden werden kann. Genetische Formen, die ursprünglich nicht im Rhein vorkamen, ersetzen die einheimische, an die speziellen Bedingungen angepasste Art, was zu einer Homogenisierung des Genpools über den Kontinent hinweg führt. Ein Zurückdrängen der neu aufgetauchten Formen dürfte nicht möglich sein.

Quelle: European Journal of Environmental Sciences

Keywords:
Kryptische Invasion, Genpool, Klimaerwärmung, Biodiversität, Flussökosystem

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Baur B., Müller P., Steinmann P. Landert P., Gilgado J.D., Rusterholz H.-P. (2022): Invading non-native populations replace native ones of the endangered freshwater snail Theodoxus fluviatilis in the river Rhine. European Journal of Environmental Sciences 12, 5–15.

Link zur Studie (freier Zugang)

Kontaktadresse:
Prof. em. Dr. Bruno Baur
Departement Umweltwissenschaften
Universität Basel
Bernoullistrasse 30
CH-4056 Basel

bruno.baur@unibas.ch


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