22.6.2022: Forschung CH
Ein einziges Gen kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen
Un seul gène peut influencer tout un écosystème
Matthew A. Barbour, Daniel J. Kliebenstein & Jordi Bascompte
Eine einzige Mutation in einem bestimmten Pflanzengen kann dazu führen, dass in einem Ökosystem mehr Insektenarten vorkommen. Die Entdeckung eines solchen «Schlüsselgens» unterstreicht die Bedeutung der genetischen Vielfalt. Verluste an genetischer Vielfalt können kaskadenartige Auswirkungen haben, die zu abrupten und katastrophalen Veränderungen im Fortbestand und in der Funktionsweise von Ökosystemen führen können.
Une seule mutation dans le gène spécifique d’une plante peut entraîner la présence d’un plus grand nombre d’espèces d’insectes dans un écosystème. La découverte d’un tel « gène clé » souligne l’importance de la diversité génétique. Les pertes de diversité génétique peuvent avoir des effets en cascade et entraîner des modifications abruptes et catastrophiques dans la préservation et le fonctionnement des écosystèmes.
Vor mehr als 50 Jahren entdeckte der amerikanische Ökologe Robert Paine an der Küste eines felsigen Gezeitenbeckens, dass Struktur und Funktion eines Ökosystems dramatisch verändert werden können, wenn eine einzige Art entfernt wird. Paine hatte herausgefunden, dass Seesterne als Schlüsselart fungieren, da ihre Anwesenheit und ihre Rolle als Raubtier zuoberst in der Nahrungskette die Koexistenz verschiedener Arten im felsigen Ökosystem aufrechterhalten.
Nun berichten Forschende, dass auch eine Mutation in einem einzigen Gen die Struktur und Funktion eines Ökosystems dramatisch verändern kann. Ein Gen enthält somit nicht nur Informationen, die für die Fitness eines Organismus entscheidend sind, sondern kann auch das Fortbestehen von interagierenden Arten in einer ökologischen Gemeinschaft beeinflussen. Die Entdeckung wurde anhand eines experimentellen Ökosystems im Labor mit einem Räuber (einer parasitären Wespe), zwei Pflanzenfressern (Blattläusen) und der Pflanze Arabidopsis thaliana – einem genetischen Modellorganismus – gemacht.
Die Wissenschaftler testeten die Wirkung von drei Pflanzengenen, die das natürliche Arsenal der chemischen Abwehrkräfte der Pflanze gegen Frassinsekten steuern. Sie fanden heraus, dass die Pflanzenfresser und deren Fressfeinde in ihrer Versuchsgemeinschaft eher auf Pflanzen mit einer Mutation an einem einzigen Gen namens AOP2 überlebten. Diese natürliche Mutation im AOP2-Gen beeinflusste nicht nur die Chemie der Pflanze, sondern liess sie auch schneller wachsen. Das wiederum förderte die Koexistenz von Pflanzenfressern und deren Fressfeinden und verhinderte so den Zusammenbruch des Ökosystems. Ähnlich wie bei einer Schlüsselart wie dem Seestern fungiert AOP2 als «Schlüsselgen», das für das Überleben des experimentellen Ökosystems unerlässlich ist.
Quelle: Universität Zürich
Keywords:
Genetische Vielfalt, Schlüsselgen, Schlüsselart
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Barbour M.A., Kliebenstein D.J., Bascompte J. (2022): A keystone gene underlies the persistence of an experimental food web. Science. DOI: 10.1126/science.abf2232
Link zur Studie
Kontaktadresse:
Matt Barbour
Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften
Universität Zürich
Winterthurerstrasse 190
CH-8057 Zürich
matthew.barbour@ieu.uzh.ch
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