10.5.2022: Forschung CH

Klimawandel bringt Speiseplan von Vögeln durcheinander

Le changement climatique chamboule le régime alimentaire des oiseaux



J. Ryan Shipley et al.

Wie haben sich das Insektenvorkommen und die Brutzeit verschiedener Sing- und Zugvogelarten verändert? Langzeitdaten und -beobachtungen aus dem Nordosten der USA zeigen: Das Insekten-Buffet wird früher eröffnet, ist nicht mehr so vielfältig und nur noch halb so voll.

Comment la présence d’insectes et la période de nidification de différentes espèces d’oiseaux chanteurs et migrateurs ont-elles évolué? Des données et des observations à long terme du nord-est des États-Unis le montrent: le buffet d’insectes s’ouvre plus tôt, n’est plus aussi varié et n’est plus qu’à moitié rempli.


Zwei bis drei Wochen brauchen junge Kleinvögeln wie Zaunkönig oder Rauchschwalbe, bis sie gross genug sind, um das Nest zu verlassen. Die Elternvögel müssen in diesem Zeitfenster möglichst viel hochwertiges Futter für ihren Nachwuchs beschaffen können. Auf dem Speiseplan stehen dabei hauptsächlich Land- und Wasserinsekten. Aber kann das Angebot die Nachfrage angesichts des Klimawandels und Insektenschwunds überhaupt noch decken? Dieser Frage sind Forschende der Eawag und der WSL nachgegangen.
Dass sie sich für die Region im Nordosten der USA entschieden haben, hat einen einfachen Grund: es liegt eine Fülle von Langzeitdaten und -beobachtungen vor. An der Cornell University im US-Bundesstaat New York wurden von 1989 bis 2014 täglich Insekten gezählt, vermessen und kategorisiert. Mit diesem Datensatz konnten die Forschenden nicht nur feststellen, wie sich die Gesamtzahl der Insekten entwickelt hat, sondern auch Veränderungen in der Körpergrösse, der Artenvielfalt und dem zeitlichen Auftreten bestimmter Arten dokumentieren. Für die Brutgewohnheiten- und erfolge verschiedener Vogelarten lagen langjährige Beobachtungsreihen vor.
Die Datensätze zeigen einen starken Einfluss des Klimawandels. Mit der Vegetationsperiode verschob sich auch die Insektenentwicklung nach vorn. Im Schnitt tauchten Wasserinsekten im Frühling rund eine Woche, Landinsekten fast zwei Wochen früher auf als noch in den 1990er Jahren. Bei den Wasserinsekten zeigten die Daten zudem, dass ihre Zahl im April viel steiler anstieg als früher und im Mai bereits wieder stark abfiel. Während Frühbrüter also vor allem Wasserinsekten vorfinden, stehen Vogelarten, die erst ab Mitte Mai zu brüten beginnen, fast nur noch Landinsekten zur Auswahl. Und das ist für sie ein Problem, denn Futter ist nicht gleich Futter. Wasserinsekten sind hochwertiger als Landinsekten, denn ihr Gehalt an Omega-3-Fettsäuren ist um ein Vielfaches höher als jener von Landinsekten. Jungvögel, die mehr dieser wertvollen Fette bekommen, wachsen eher schneller und können das Nest früher verlassen.
Frühbrüter wie der Rotkehl-Hüttensänger (Sialia sialis) scheinen von der neuen Situation zu profitieren, weil sie zur Brutzeit mehr Wasserinsekten vorfinden als früher. Ihre Population hat im untersuchten Gebiet seit 1966 zugenommen. Die Zahl der später brütenden Sumpfschwalben, die vermehrt mit Landinsekten Vorlieb nehmen müssen, ist hingegen stark zurückgegangen.
Dass sich Insektenentwicklung und Vogelbrutzeit auch in Mitteleuropa verschoben und entkoppelt haben, ist wahrscheinlich. In welchem Masse, ist jedoch unklar, denn auf andere Regionen lassen sich die Resultate noch nicht übertragen, weshalb eine grösser angelegte Studie mit Daten aus Europa, Japan und Russland folgen soll. Eines hat die Studie aber gezeigt: Wie wichtig das Leben im Wasser für das Leben an Land ist. Um zu verstehen, wie und warum sich Nahrungsnetze und Biodiversität verändern, müssen beide Systeme gekoppelt betrachtet werden.

Quelle: eawag.ch

Keywords:
Klimawandel, Vögel, Insekten, Ökosysteme



Literatur:
Shipley J. R. et al. (2022): Climate change shifts the timing of nutritional flux from aquatic insects, Current Biology 32/6, 1342-1349

Link zur Studie

Kontaktadresse:
Eawag
Ryan Shipley
Seestrasse 79
CH-6047 Kastanienbaum
ryan.shipley@eawag.ch
Tel: +41 (0)58 765 22 62


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