10.5.2022: Forschung international

Gesellschaftliches Aussterben – wenn Arten vergessen gehen

Extinction sociale: quand les espèces tombent aux oubliettes



Wenn eine Tier- oder Pflanzenart global oder regional ausstirbt, geht diese Spezies nicht nur der Natur verloren – sie verschwindet auch relativ schnell aus unserem kollektiven Gedächtnis, aus Kulturen und Diskursen. Dies hat Auswirkungen für den Artenschutz und unseren Umgang mit der Natur: Das Vergessen vergangener Vielfalt verschiebt auch die Vorstellung dessen, was wir für normal und natürlich halten.

Lorsqu’une espèce animale ou végétale disparaît au niveau régional ou mondial, elle n’est pas seulement perdue pour la nature. Elle disparaît également assez rapidement de notre mémoire collective, de nos cultures et de nos discours. Cela a des conséquences pour la protection des espèces et notre relation avec la nature: oublier la diversité passée modifie notre conception de ce que nous considérons comme normal et naturel.


Forschende sind der Frage nachgegangen, weshalb Arten in der Gesellschaft vergessen werden und somit gesellschaftlich aussterben. Es zeigte sich, dass die Anfälligkeit einer Art für das gesellschaftliche Aussterben von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängt. Dazu gehören die Ausstrahlung einer Art, ihre wirtschaftliche, kulturelle oder symbolische Bedeutung für die Gesellschaft und auch, ob und wie lange sie bereits ausgestorben ist oder wie weit entfernt und isoliert ihr Verbreitungsgebiet von menschlichen Siedlungen und Aktivitäten liegt.
Wichtige Faktoren sind auch soziale oder kulturelle Veränderungen, zum Beispiel durch die Verstädterung und Modernisierung der Gesellschaft. Sie können unser Verhältnis zur Natur radikal verändern und zu einem kollektiven Vergessen in Bezug auf einst wohlbekannte Arten führen. Ein Beispiel sind Heilpflanzen: Mit dem Siegeszug der modernen Medizin in Europa ging auch das Wissen über die traditionelle Heilpflanzen bei den meisten Menschen verloren.
Das Problem an diesem Vergessen: Wenn eine noch existierende Art aus dem kollektiven Bewusstsein verschwindet, dann hat sie auch keine Lobby – es wird schwerer, Massnahmen zu ihrem Schutz umzusetzen. Das Vergessen von global, regional oder lokal ausgestorbenen Arten wiederum verändert unsere Sicht auf die Natur und die Vorstellung dessen, was wir für normal, natürlich oder gesund halten. Die Forschenden plädieren deshalb dafür, dem sozialen Aussterben aktiv entgegenzuwirken. Denkbare Massnahmen dafür sind gezielte, langfristige Kommunikationskampagnen, Umweltbildung und das Ausstellen ausgestorbener Arten in Naturkundemuseen. Nur so liesse sich die Erinnerung an gesellschaftlich ausgestorbene Arten wiederbeleben, verbessern und erhalten.

Quelle: wissenschaft.de

Keywords:
Aussterben, Mensch-Natur-Beziehung, Kultur, Soziologie, Psychologie

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Jarić I., Roll U., Bonaiuto M. et al. (2022): Societal extinction of species. Trends in Ecology & Evolution 37, 411-419.

Link zur Studie

Kontaktadresse:
Biology Centre of the Czech Academy of Sciences
Institute of Hydrobiology
Ivan Jarić
České Budějovice
Czech Republic
ivan.jaric@hbu.cas.cz


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