2.2.2022: Forschung international

Häufige Pflanzenarten werden vielerorts häufiger, bereits seltene Arten werden seltener

Espèces végétales fréquentes toujours plus fréquentes, celles déjà rares encore plus rares



Ingmar Staude et al.

Nähstoffliebende und weit verbreitete Arten verdrängen spezialisierte Arten mit geringer Verbreitung. Dies gilt sowohl für alpine Gipfelzonen, die Krautschicht von Wäldern und artenreiche Wiesen und Weiden Europas. Während sich dadurch die Anzahl Arten auf lokaler Ebene kaum verändert, sinkt die grossräumige Artenvielfalt.

Les espèces largement répandues qui prospèrent sur les sols riches évincent les espèces plus spécialisées dont l’aire de répartition est plus limitée. Cela vaut autant pour les zones de sommets alpins que pour la strate herbacée des forêts ou les prairies et pâturages d’Europe riches en espèces. Alors que le nombre d’espèces change à peine au niveau local, la diversité des espèces baisse à grande échelle.


Weltweit sind zwei von fünf Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Auf lokaler Ebene ist allerdings ein Rückgang der Artenzahl oft nicht erkennbar. Welche Prozesse stehen hinter diesem von Biodiversitätsforschenden als «Biodiversitätsparadox» bezeichneten Phänomen? Um diese Frage zu beantworten, haben Forschende Veränderungen der Artenzusammensetzung in drei sehr unterschiedlichen Lebensräumen in Europa untersucht: in alpinen Gipfelzonen, in der Krautschicht von Wäldern sowie in artenreichen Wiesen und Weiden im Tiefland.
Die Ergebnisse zeigen: Pflanzenarten mit grossräumiger Verbreitung und einer Vorliebe für nährstoffreiche Lebensräume haben in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen, wohingegen Arten mit kleinen Verbreitungsgebieten auf nähstoffärmeren Böden im Rückgang begriffen sind. Während die Anzahl Arten dadurch lokal stabil bleibt, sinkt die Artenvielfalt auf Landschaftsebene. Nur in den alpinen Gipfelzonen überwiegt die Zunahme der Artenzahl, weil die spezialisierten Arten in der nischenreichen Gebirgswelt nicht unmittelbar verdrängt werden.
Grundlage für die Datenanalyse waren wiederholte Erhebungen des Artenbestands auf 141 Untersuchungsflächen in 19 europäischen Ländern. Die ältesten Datensätze reichen bis in die 1940er-Jahre zurück und beschreiben die zeitlichen Zu- und Abnahmen von insgesamt 1827 Pflanzenarten.
Die wesentlichen Treiber der Veränderungen sind erhöhte Nährstoffmengen in den Böden, etwa infolge von Stickstoffeinträgen vor allem aus der Landwirtschaft, aber auch aus Verkehrs- und Industrieemissionen. Aussagekräftige Indikatoren für hohe Stickstoffwerte sind die Pflanzenarten selbst, wie beispielsweise die Brennnessel. Die erhöhten Stickstoffmengen wirken sich gleich zweifach ungünstig aus: Einerseits fördern sie das Wachstum der weitverbreiteten stickstoffliebenden Arten. Andererseits führt dies zu erhöhter Beschattung, was die Verdrängung der kleinwüchsigen, selteneren Spezialisten für nährstoffarme Standorte zu Folge hat.
Natürliche Ökosysteme wurden in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in Ackerland und in intensiv bewirtschaftetes Grünland umgewandelt. Diese Landnutzungsveränderungen sind Haupttreiber des Biodiversitätsverlusts. Die neuen Forschungsresultate zeigen, dass sich eine systematische Artenverschiebung auch in den naturnahen Untersuchungsflächen, also fernab der ohnehin stark degradierten Flächen der intensiven Agrar- und Siedlungsräume vollzieht. Eine stetige Verdrängung charakteristischer Arten einzigartiger Ökosysteme durch weit verbreitete Arten mag zwar die lokale Anzahl Arten vielerorts aufrechterhalten, führt aber global gesehen dazu, dass immer mehr Arten vom Aussterben bedroht sind.

Quelle: iDiv

Keywords:
Biodiversitätsparadox, Artenrückgang, Stickstoff, Homogenisierung

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Staude I. et al. (2021): Directional turnover towards larger‐ranged plants over time and across habitats. Ecology letters.


Link zur Studie (freier Zugang)

Kontaktadresse:
Biodiversität und Naturschutz
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Ingmar Staude
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Puschstraße 4
D-04103 Leipzig
ingmar.staude@idiv.de
Tel: +49 (0)341 9733136


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