15.12.2021: Forschung CH
Vielfüssige Reaktion auf die Klimaerwärmung
Réaction musclée au réchauffement climatique
José D. Gilgado, Hans-Peter Rusterholz, Bruno Baur
Der Klimawandel kann die Verbreitungsgebiete von Pflanzen- und Tierarten verändern. Vergleiche historischer Aufnahmen von Tausendfüsslerarten im Schweizerischen Nationalpark mit heutigen Aufnahmen zeigen, dass 10 der 11 untersuchten Arten ihre Verbreitung um durchschnittlich 161 Höhenmeter bergwärts verschoben haben. Die bodenbewohnenden Tausendfüssler reagieren so auf klimabedingte Veränderungen im Boden und in der Vegetation.
Le changement climatique peut modifier l’aire de répartition des espèces végétales et animales. Dans le Parc National Suisse, des comparaisons de relevés historiques d’espèces de mille-pattes avec des relevés actuels montrent que 10 espèces sur les 11 étudiées ont déplacé leur population en moyenne de 161 mètres d’altitude vers l’amont. Les mille-pattes vivant au sol réagissent ainsi aux changements dans le sol et dans la végétation liés au climat.
Als Folge des Klimawandels dauert die Vegetationsperiode in den Alpen länger, und viele Pflanzen blühen früher und verschieben ihre Verbreitung langsam in die Höhe. Mit der Klimaerwärmung verändern sich auch die Lebensräume der Tiere. Für wärmeempfindliche Arten bedeutet dies, dass sie ebenfalls in kühlere Regionen Richtung Gipfel ausweichen oder sich an die steigenden Temperaturen anpassen müssen. Arten, die sich nicht auf die neuen Bedingungen einstellen können, verschwinden aus dem angestammten Gebiet. Bei Vögeln konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass sie ihr Verbreitungsgebiet gipfelwärts ausgedehnt haben und nun in höheren Lagen brüten. Wie reagieren aber die weniger mobilen, im und auf dem Boden lebenden Arthropoden auf den Klimawandel in den Alpen? Diese wirbellosen Tiere spielen eine wichtige Rolle im Stoffkreislauf der Natur, bauen sie doch totes Pflanzenmaterial ab und tragen so zur Bodenbildung bei.
In den Jahren 1917 bis 1919 wurde die Artenvielfalt und Verbreitung der Tausendfüssler im neugegründeten Schweizerischen Nationalpark erforscht. Hundert Jahre später haben Forscher die gleichen Berghänge wieder systematisch nach Tausendfüsslern abgesucht: 10 von 11 untersuchten Arten haben ihre höchstgelegenen Populationen um durchschnittlich 161 Höhenmeter Richtung Gipfel verschoben. Die einzelnen Arten wanderten unterschiedlich weit bergwärts mit einer Streuung von 60 bis 350 Metern.
Die von der Wetterstation Buffalora am Rande des Nationalparks seit 1917 erfassten Daten belegen einen Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur um 1,5 Grad Celsius während der vergangenen 100 Jahre. Der deutliche Temperaturanstieg verkürzt die Dauer der Schneedecke und verlängert so die Vegetationsperiode. Die Höhenverbreitung der Tausendfüssler ist zu einem wesentlichen Teil durch die Länge der Vegetationsperiode begrenzt. Wird diese an der oberen Verbreitungsgrenze länger, können die Tiere zusammen mit der Vegetation in grössere Höhen ziehen. Die im Nationalpark festgestellte Höhenverschiebung ist weltweit der erste Nachweis, dass auch wenig mobile Arthropoden wie Tausendfüssler im Gebirge auf den Klimawandel reagieren.
Quelle: Universität Basel
Keywords:
Bodenorganismen, Wirbellose, Klimawandel, Schweizerischer Nationalpark
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Gilgado J.D., Rusterholz H.-P., Baur B. (2021): Millipedes step up: species extend their upper elevational limit in the Alps in response to climate warming. Insect Conservation and Diversity. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/icad.12535
Link zur Studie (open access)
bruno.baur@unibas.ch
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