21.6.2005: Forschung CH
Die guten Seiten der Lawinen
Sibyl Brugger
Lawinen zerstören nicht nur, sondern sie schaffen auch Lebensraum. Eine Studie des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF zeigt, dass die pflanzliche Biodiversität in Lawinenbahnen gegenüber dem umgebenden Wald stark erhöht ist. Je häufiger Lawinen auftreten, desto deutlicher ist der Unterschied.
Jeden Winter donnern nach starkem Schneefall Lawinen zu Tale. Mit ihrer unheimlichen Kraft brechen sie Bäume wie Streichhölzer; was im Weg steht, wird mitgerissen. Einige Monate später schmelzen die letzten Schneereste, Blumen und Gräser blühen in der Lawinenbahn. Da drängt sich die Frage auf: Wie wirken Lawinen auf die Natur?
Eine Studie des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos zeigt, dass die Zerstörungskraft der Lawinen für die Natur auch positive Aspekte haben kann. Sie schafft Standortbedingungen, die einer ganzen Reihe von Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften überhaupt erst das Überleben ermöglichen. Weil Bäume von Lawinen umgeknickt werden, erreicht in Lawinenzügen viel mehr Licht den Boden als im angrenzenden Wald. Auch Wasser und Nährstoffe sind reichlicher vorhanden. Die mechanische Belastung durch die Lawinen ist für kleinere Pflanzen gering: Die Schneedecke schützt sie sogar, oder die Pflanzen sind (noch) elastisch genug, um sich den Schneemassen zu beugen.
Weil die mechanische Belastung im Zentrum der Züge grösser ist – kleinere Niedergänge betreffen nicht den ganzen Lawinenzug – und an manchen Stellen Schnee mitgerissen, an anderen abgelagert wird, herrschen auf engem Raum unterschiedlichste Umweltbedingungen. Die biologische Vielfalt ist entsprechend hoch. Viele verschiedene Arten und Gesellschaften finden die ihnen zusagenden Lebensbedingungen; die «typische Lawinenpflanze» gibt es nicht. So kamen über 80% der 141 beobachteten Arten in weniger als 5% der Untersuchungsflächen vor, obwohl die ungestörte Vegetation ausserhalb der Lawinenzüge im ganzen Untersuchungsgebiet (Dischmatal) Lärchen-Fichten-Wald ist.
Anders als in früheren Studien wurden in der Studie des SLF viele Lawinenzüge mit unterschiedlich häufigen Lawinenniedergängen untersucht. Je häufiger in einem Lawinenzug die Lawinen sind, desto artenreicher und diverser ist die Vegetation. Lawinenzüge, in denen jährlich Lawinen zu Tale stürzen, beherbergen rund dreimal mehr Arten als der angrenzende Wald.
Keywords:
Lawinen, Pflanzendiversität, Störung
Art der Publikation:
Diplomarbeit
Literatur:
Brugger, S. (2002): Auswirkungen von Lawinen auf die Vegetation: Eine Studie im Dischmatal. Diplomarbeit, Universität Zürich
http://www.slf.ch/lebensraum-alpen/lawinenbahnen-de.html
Kontaktadresse:
Dr. Veronika Stöckli, Eidg. Institut für Schnee und Lawinenforschung (SLF), Abt. Lebensraum Alpen, Flüelastrasse 11, CH-7260 Davos Dorf
v.stoeckli@slf.ch
Tel: +41 (0)81 417 02 14
Fax: +41 (0)81 417 01 10
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