3.11.2021: Forschung international

Artensterben auch in der Literatur

Disparition des espèces aussi dans la littérature



Lars Langer et al.

Die biologische Vielfalt nimmt in der westlich geprägten Literatur seit den 1830er-Jahren kontinuierlich ab. Zu diesem Schluss kommen Forschende, die rund 16‘000 Werke untersucht haben, die zwischen 1705 und 1969 erschienen sind. Sie deuten die Ergebnisse als Hinweis auf eine zunehmende Entfremdung des Menschen von der Natur.

La diversité biologique recule constamment depuis les années 1830 dans la littérature occidentale. C’est la conclusion de scientifiques qui ont étudié environ 16 000 ouvrages publiés entre 1705 et 1969. Ils interprètent les résultats comme une indication de l’éloignement qui s‘accentue entre les hommes et la nature.


Die biologische Vielfalt des Planeten schwindet. Ein internationales Forscherteam wollte herausfinden, ob sich die Biodiversitätskrise der realen Welt auch in der Gedankenwelt des Menschen widerspiegelt.
Dazu haben sie untersucht, wie sich die Nennung von Biodiversitätskomponenten in der Literatur zwischen 1705 und 1969 verändert hat. Sie verwendeten für ihre Arbeit einen Teilbestand des «Project Gutenberg», der grössten digitalen, öffentlich nutzbaren Sammlung westlicher Belletristik in ihrer englischen Version. Rund 16‘000 Werke von 4‘000 Autorinnen und Autoren wurden einbezogen, unter ihnen Johann Wolfgang von Goethe, Edith Nesbit und Victor Hugo.
Die Häufigkeit, Dichte und Ausdrucksvielfalt von Bezeichnungen für Tiere und Pflanzen in der Literatur stieg bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts an, nahm dann aber kontinuierlich ab. So ist nach 1835 eine Tendenz zur Verwendung weniger spezifischer Bezeichnungen feststellbar. Das bedeutet beispielsweise, dass eher das Wort «Baum» statt einer konkreteren Bezeichnung wie «Eiche» benutzt wurde. Lebewesen jedoch, mit denen der Mensch dauerhaft und häufig zu tun hat, wurden gleichbleibend oft genannt. Das sind beispielsweise domestizierte Tiere wie Pferd und Hund oder bedrohliche Arten wie Bär und Löwe.
Die Forscher interpretieren den anfänglichen Anstieg der biologischen Vielfalt in der Literatur als Folge von Entdeckungen und Kolonialisierungen grosser Teile der Welt durch die europäische Zivilisation. Im Zuge dieser Entwicklungen tauchten beispielsweise neue Begriffe wie Papagei, Banane oder Panther auf. Die Verbesserung von Forschung und Bildung im Zeitalter der Aufklärung könnte zu einem weiteren Anstieg geführt haben. Mit der Industrialisierung, Urbanisierung und den damit verbundenen Landnutzungsänderungen beginnt dann aber nicht nur der reale Biodiversitätsverlust, sondern möglicherweise auch die Verarmung naturbezogener Denkmuster.

Quelle: iDiv

Keywords:
Artensterben, Literatur, Project Gutenberg, westliche Belletristik

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Langer L. et al. (2021): The rise and fall of biodiversity in literature: A comprehensive quantification of historical changes in the use of vernacular labels for biological taxa in Western creative literature. People and Nature, Britisch Ecological Society. DOI: 10.1002/pan3.10256.

Link zur Studie (open access)

Kontaktadresse:
Christian Wirth
Universität Leipzig
Spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität
Institutsgebäude
Johannisallee 21
D-04103 Leipzig
christian.wirth@idiv.de
Tel: +49 (3)41 97 38591


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