6.11.2020: Forschung international
Biodiversitätsdaten aus besonders artenreichen Gebieten können zu falschen Schlussfolgerungen über generelle Trends führen
Des données sur la biodiversité de zones particulièrement riches en espèces peuvent conduire à des conclusions erronées sur les tendances générales
Andrea Mentges et al.
Die Daten, die von Citizen-Science-Initiativen, Museen und Nationalparks gesammelt werden, sind eine wichtige Basis für die Erforschung des Biodiversitätswandels. Doch die gewählten Standorte sind oftmals nicht repräsentativ und können zu falschen Schlüssen über den Wandel der Biodiversität führen. Um allgemein gültige Aussagen machen zu können, fordern Forschende eine objektivere Auswahl von Standorten und bessere Schulungsangebote für Personen, die sich an Citizen Science-Projekten beteiligen.
Les données collectées par des initiatives de sciences citoyennes, de musées et des parcs nationaux, constituent une base importante pour la recherche sur l’évolution de la biodiversité. Cependant, souvent, les sites choisis ne sont pas représentatifs et peuvent entraîner des conclusions erronées sur l’évolution de la biodiversité. Afin de pouvoir faire des déclarations valables en général, les chercheurs revendiquent une sélection plus objective des sites ainsi qu’une meilleure offre de formation pour les personnes qui participent aux projets de sciences citoyennes.
Um die Biodiversität zu erhalten, ist es wichtig zu wissen, wie sie sich verändert. Um allgemein gültige Aussagen machen zu können, muss die Auswahl der Untersuchungsorte repräsentativ sein, also die tatsächlichen Gegebenheiten widerspiegeln, und darf sich nicht auf ausgewählte, besonders artenreiche Standorte beschränken. Die Standorte der Artenerhebungen muss der Fragestellung angepasst werden. Sind die Proben nicht repräsentativ, spricht man von einer Verzerrung (engl. bias). Doch die Forschenden erheben nicht alle benötigten Daten selbst; oft stammen diese von verschiedenen Initiativen, beispielsweise aus dem Bereich der Bürgerwissenschaften (Citizen Science).
Nun wurde gezeigt, dass eine solche Verzerrung Aussagen zum Biodiversitätswandel deutlich beeinflussen kann. Dabei wurde der sogenannte Standort-Bias untersucht. Ein Standort-Bias ist dann gegeben, wenn die beprobten Standorte für eine Messung oder Zählung nicht repräsentativ ausgewählt werden. Will man beispielsweise untersuchen, wie sich die Zahl der Schmetterlinge innerhalb der nächsten 10 Jahre in einer Stadt verändert, müsste man bei den beprobten Flächen auf Repräsentativität achten, also mehrheitlich typische durchschnittliche Orte wie eine kleine Wiese hinter einem Supermarkt zufällig wählen. In Realität mag aber eine Wiese in einem Park besser geeignet erscheinen. Doch in diesem Fall ist die Standortwahl verzerrt, denn sie fällt auf einen Ort, an dem verhältnismässig viele Schmetterlinge vorkommen.
Mithilfe einer Computersimulation verdeutlichten die Forscher, dass eine solche Verzerrung zu falschen Schlussfolgerungen führen kann, wie sich die Biodiversität verändert. Wenn Messungen zur Biodiversität an Orten durchgeführt werden, an denen ungewöhnlich viele Arten vorkommen, dann ist es statistisch gesehen wahrscheinlicher, dass man mit der Zeit einen Rückgang der Zahl der Arten feststellt. Diese nicht repräsentative Wahl, wo Messungen durchgeführt werden, kann einen Einfluss auf die gesammelten Daten haben und sogar zu falschen Schlüssen führen. Etwa, dass die Artenzahl zurückgeht, obwohl sie in Realität steigt.
Die Forscher analysierten, wie verbreitet solche Verzerrungen sind, und fanden heraus, dass sie potenziell in vielen Datenquellen vorkommen, beispielsweise von Museen, Nationalparks oder Citizen-Science-Initiativen. Ob die Wahl des Standortes die Messungen tatsächlich beeinflusst, hängt allerdings vom Zweck der Erhebung ab. Auch die Daten zum Vorkommen von Schmetterlingen im nächstgelegenen Park können einem Zweck dienen, zum Beispiel um herauszufinden, ob bestimmte Schmetterlingsarten noch in der Gegend vorkommen oder ob neue Arten einwandern. Aber wenn man diese Daten dafür nutzt zu untersuchen, ob die Gesamtzahl der Schmetterlinge in der Region zu- oder abnimmt, liegt man möglicherweise falsch.
Für ihre Studie untersuchten die Forschenden auch 44 Citizen-Science-Initiativen aus unterschiedlichen Ländern. Bei den meisten konnten die Teilnehmenden die Orte für ihre Messungen selbst wählen. Diese freie Standortwahl kann potenziell zu einem Bias führen, wobei dies auch davon abhängig war, welche Schulungen den Teilnehmern angeboten wurden. Die Forschenden gehen davon aus, dass Menschen, die man nicht explizit darauf hinweist, einen «normalen» Ort zu wählen, immer zu einem «coolen» bzw. spannenden Ort tendieren. Daher nehmen sie an, dass solche Initiativen potenziell problematisch sein können, wenn es keine persönlichen Schulungen oder zumindest Online-Informationsmaterialien gibt, die auch die Standortwahl thematisieren. Wie bei allen Forschungsprojekten ist es auch bei Citizen-Science-Initiativen wichtig, Klarheit zu schaffen über die untersuchten Fragestellungen, das Untersuchungsdesign an diesen Fragestelllungen auszurichten und die Teilnehmenden entsprechend zu schulen.
Quelle: Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg (MLU)
Keywords:
Biodiversitätsdaten, Museen, Nationalpark, Citizen-Science
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Mentges A. et al. (2020): Effects of site-selection bias on estimates of biodiversity change. Conservation Biology. DOI: 10.1111/cobi.13610
Link zur Studie (Open access)
Kontaktadresse:
Andrea Mentges
iDiv-Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese, MLU
D-06108 Halle
andrea.mentges@idiv.de
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