6.11.2020: Forschung international

Unberührte Wälder in Europa: Verbreitung und Schutzstatus

Forêts sauvages en Europe : répartition et statut de protection



Francesco Sabatini et al.

Nur um 1 % müssten die Waldschutzgebiete Europas ausgeweitet werden, um die meisten verbliebenen europäischen Urwälder zu schützen. Dies hat ein internationales Forscherteam errechnet. Die Studie erfasst erstmals europaweit die Verbreitung und den Schutzstatus der letzten weitestgehend unberührten Wälder und zeigt, wo dringender Handlungsbedarf besteht.

Il suffirait d’élargir les réserves forestières d’Europe de 1 % pour protéger la plupart des forêts primaires restantes en Europe. C’est ce qu’a calculé une équipe internationale de chercheurs. L’étude détermine pour la première fois la répartition et le statut de protection des dernières forêts largement intactes, et montre où les mesures à prendre sont les plus urgentes.


Wälder, in denen lange genug keine wesentliche menschliche Nutzung stattgefunden hat und in denen ökologische Prozesse ungestört ablaufen können, werden als Urwälder oder Primärwälder bezeichnet. Solche Primärwälder haben einen herausragenden ökologischen Wert. Sie sind ein unersetzlicher Teil unseres Naturerbes und entscheidend für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. In Europa, wo die Menschen die Waldlandschaften über Jahrtausende genutzt und verändert haben, gibt es nur noch sehr wenige solcher Wälder.
Trotz ihres ökologischen Wertes sind viele Primärwälder nicht ausreichend geschützt und werden weiterhin abgeholzt. Die kürzlich veröffentlichte «EU-Biodiversitätsstrategie für 2030» betont ausdrücklich den hohen Naturschutzwert von Primärwäldern und die Notwendigkeit, diese zu schützen. Allerdings blieb bisher unklar, wo diese in Europa am schutzbedürftigsten sind.
Forschende aus 28 Institutionen haben nun die allererste Bewertung der Verteilung und des Schutzstatus der Urwälder Europas vorgelegt. Mithilfe einer Datenbank über die geographische Verbreitung dieser Wälder, deren Aufbau über fünf Jahre dauerte, konnte das Team drei entscheidende Fragen beantworten: 1. Sind überhaupt noch Primärwälder von allen 54 Waldtypen Europas zu finden? 2. Wo sind diese Wälder ausreichend geschützt, wo nicht? Und 3.: Wo sind die letzten unberührten Urwaldreste so selten geworden, dass eine Renaturierung von anderen Waldtypen erforderlich ist?
Die Forschenden haben viele Regionen identifiziert, in denen Primärwälder nicht geschützt sind. Dies ist vor allem dort der Fall, wo sie noch relativ weitverbreitet sind. Und dort, wo sie geschützt sind, reicht der Schutzstatus in einigen Fällen nicht aus, um die Wälder langfristig zu erhalten.
Die Studie hebt auch hervor, dass die verbleibenden Primärwälder in Europa sehr ungleichmässig verteilt sind. In einigen Regionen, insbesondere in Nord- und Osteuropa, gibt es noch viele Primärwälder. Aber oft erkennen diese Länder nicht, wie einzigartig und schutzwürdig sie aus europäischer Sicht sind. Gleichzeitig mussten die Forschenden feststellen, dass von vielen natürlichen Waldtypen überhaupt keine Primärwaldreste mehr übrig sind, insbesondere in Westeuropa.
Insgesamt bezeichnen die Forschenden den Zustand der Urwälder Europas als gefährdet. Es sollte daher höchste Priorität der Politik sein, diese Wälder langfristig zu schützen. Und wo keine Primärwälder mehr vorhanden sind, die geschützt werden können, müssten solche in Totalreservaten zugelassen werden oder primarwaldähnliche Bedingungen aktiv wieder hergestellt werden (z.B. Entfernen nicht einheimischer Arten, die Ansiedlung von Arten, Wiederherstellung der natürlichen Hydrologie oder die Förderung der Entwicklung von wichtigen Strukturelementen wie Totholz oder Habitatbäume).
Die Forschenden haben errechnet, dass eine Ausdehnung der Schutzgebiete um nur etwa ein Prozent ausreichen würde, um die meisten verbliebenen Primärwälder in Europa zu schützen. Das entspräche lediglich zwei bis drei Tausendsteln der gesamten Landesfläche Europas.

Quelle: Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)

Keywords:
Primärwälder, Wald, Waldtypen, Naturwaldreservate, Schutzgebiete

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Sabatini F.M. et al. (2020): Protection gaps and restoration opportunities for primary forests in Europe. Diversity and Distribution. doi.org/10.1111/ddi.13158

Link zur Studie (open access)

Kontaktadresse:
Dr. Francesco Sabatini
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Halle-Jena-Leipzig
Puschstraße 4
D-04103 Leipzig
francesco.sabatini@botanik.uni-halle.de


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