30.9.2020: Forschung CH

Gefährdete Pflanzenarten in der Schweiz stark im Rückgang

Fort recul des espèces végétales menacées en Suisse



Anne Kempel et al.

In der Regel schätzen ExpertInnen den Gefährdungsgrad von Pflanzenarten ein, weil es weltweit an Daten zum lokalen Aussterben von Populationen mangelt. Im Rahmen eines einzigartigen Schweizer Projekts haben mehr als 400 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bekannte Standorte aller gefährdeten Pflanzenarten aufgesucht und die Populationen überprüft. Die Ergebnisse sind alarmierend: Die früheren Standorte von besonders gefährdeten Pflanzenarten können besonders häufig nicht mehr bestätigt werden. Die nun weiter aufbereiteten Daten sind bereits in die aktuelle Rote Liste eingeflossen, die 2016 publiziert wurde.

Généralement, le degré de menace des espèces végétales est estimé par les expertes et experts, car les données sur les extinctions locales de populations manquent au niveau mondial. Dans le cadre d’un projet suisse unique, plus de 400 bénévoles ont visité des stations connues pour toutes les espèces végétales menacées et ont vérifié leurs populations. Les résultats sont alarmants : très souvent, les anciennes stations d’espèces végétales particulièrement menacées ne peuvent plus être attestées. Les données traitées ont déjà été intégrées dans l’actuelle liste rouge publiée en 2016.


Wie häufig es zu einem lokalen Aussterben einer Population kommt und ob manche Arten stärker vom Rückgang betroffen sind als andere, wurde bisher anhand von Expertenwissen erfasst – denn quantitative Daten zu erheben ist aufwändig. Genau solche Daten wären aber wichtig, um die Auswirkungen des menschgemachten Wandels besser zu verstehen und die richtigen Massnahmen im Naturschutz zu ergreifen.
Für die Überarbeitung der Roten Liste aus dem Jahr 2002 hat «Info Flora» deshalb ein schweizweites Projekt auf die Beine gestellt: 420 ehrenamtlichen Botanikerinnen und Botanikern haben über 8000 Fundstellen der 713 seltensten und gefährdetsten Pflanzenarten der Schweiz zwischen 2010 und 2016 besucht und überprüft. Die Daten bilden die Basis der aktuellen Roten Liste, die 2016 erschienen ist. Forschende haben nun den Datensatz weiter analysiert und publiziert.
Bei ihrer «Schatzsuche» gingen die ehrenamtlichen Botanikerinnen und Botaniker oft leer aus – 27% der 8024 Populationen konnten nicht wiedergefunden werden. Arten, die von Expertinnen und Experten als am stärksten gefährdet eingestuft werden, verloren gar 40% ihrer Populationen im Vergleich zu den Fundangaben, die aus den letzten 10 bis 50 Jahren stammten. Diese Zahlen sind alarmierend. Viele Arten kommen nur noch in einzelnen Populationen vor. Wenn weiterhin Populationen dieser Arten verloren gehen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Arten aussterben.
Die Studie deckte noch andere Muster auf: Besonders betroffen sind Pflanzen aus sogenannten Ruderalstandorten. Zu den betroffenen Pflanzenarten gehören etwa die Randvegetation von landwirtschaftlich genutzten oder besiedelten Flächen oder Ackerbegleitpflanzen. Diese Populationen zeigten mehr als doppelt so grosse Verluste wie Arten aus Wäldern oder alpinen Wiesen. Dies ist vor allem der anhaltenden Intensivierung der Landwirtschaft zuzuschreiben. Ähnlich stark betroffen sind Pflanzenarten der Gewässer, Ufer und Moore.
Das schweizweite Wiederbesuchs-Projekt ist in seiner Dimension einzigartig und war nur in Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen möglich. Das Vorgehen dient denn auch als Vorzeigebeispiel, um den Zustand gefährdeter Arten eines Landes genau abzubilden und damit glaubwürdige Rote Listen zu erarbeiten, Muster zu erkennen und gezielten Handlungsbedarf aufzudecken.

Quelle: Universität Bern

Keywords:
Lokales Aussterben, Pflanzen, citizen science,

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Kempel A. et al. (2020): Nationwide revisitation reveals thousands of local extinctions across the ranges of 713 threatened and rare plant species. Conservation Letters. doi.org/10.1111/conl.12749

PDF-Link (open access)

Kontaktadresse:
Dr. Anne Kempel
Institut für Pflanzenwissenschaften, Universität Bern
Altenbergrain 21
CH-3013 Bern
anne.kempel@ips.unibe.ch
Tel: +41 (0)77 415 05 44


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