30.9.2020: Forschung international

Verhaltensänderungen zugunsten der Biodiversität: Benötigt wird eine breite Palette an Massnahmen

Changements de comportements en faveur de la biodiversité: large palette de mesures nécessaire



Melissa Marselle et al.

Es ist ein bekanntes Problem: Was der Bevölkerung auf dem Gebiet des Naturschutzes verkündet wird, führt nur selten dazu, dass die Menschen ihr Alltagsverhalten wirklich verändern. Ein Forscherteam hat sich am Beispiel des Insektensterbens mit den Gründen befasst. Demnach nutzen die in verschiedenen Ländern Europas vorgeschlagenen Massnahmen die Bandbreite der möglichen Verhaltenseingriffe nicht genügend aus und benennen zu selten die eigentlichen Zielgruppen.

C’est un problème connu : ce qui est rendu public en matière de protection de la nature est rarement suivi d’un véritable changement de comportement dans la population. Une équipe de chercheurs en a examiné les raisons avec l’exemple de la disparition des insectes. Selon les scientifiques, les mesures proposées dans les différents pays d’Europe n’exploitent pas assez la palette des interventions ayant un effet sur le comportement des gens et ne désignent que trop rarement les groupes ciblés.


Der Schutz der Insekten ist in der internationalen Naturschutzpolitik ein grosses Thema. Aufgerüttelt durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu hohen Bestandseinbrüchen bei den Insekten, die sich beispielsweise auf die Bestäubungsleistungen in der Landwirtschaft auswirken, stellt Europa den Insektenschutz in der Umweltpolitik nach vorn. Zahlreiche Regierungen in Europa haben nationale Strategien vorgelegt, wie sie den Erhalt der Bestäuber sichern wollen.
Ein Forscherteam hat nun acht dieser nationalen Strategiepapiere zum Schutz der Bestäuber im Hinblick auf Verhaltensänderungen in der Bevölkerung analysiert. Das Ergebnis: Naturschutzpolitiken zum Erhalt der Bestäuber sind oft zu ineffektiv und ändern nur wenig am Verhalten der Menschen. Rund 610 Einzelmassnahmen haben die Forschenden in den Strategiepapieren entschlüsselt. Anhand des Analysemodells «Behaviour Change Wheel», das aus der Gesundheitspsychologie stammt und 19 unterschiedliche Verhaltensmodelle integriert, ordneten sie diesen Modellen neun sogenannte Interventionsfunktionen zu – also Massnahmen, wie sich das Verhalten der Menschen ändern könnte. Demnach lässt sich ein grosser Teil der insgesamt rund 790 Verhaltensmassnahmen dem Bereich Bildung zuordnen (23%), danach folgen mit 19% Strukturmassnahmen wie das Pflanzen von Hecken, die Aussaat von Blühstreifen auf Äckern oder das Anlegen von Grünanlagen in der Stadt. Rund 4% der Massnahmen lassen sich unter dem Stichwort Modelling zusammenfassen, also zum Beispiel dem Einsatz von Best-Practice-Beispielen von vorbildlich arbeitenden Landwirten. Danach folgen Anreizsysteme etwa für Landwirte oder Gemeinden (3%) und gesetzliche Regelungen (2%). Stärkere Eingriffe wie zum Beispiel zusätzliche Steuern für den Einsatz von Pestiziden tauchten in den Politikpapieren nicht auf.
Das zeigt, dass sich die nationalen Biodiversitätsstrategien vornehmlich auf Bildungs- und Strukturmassnahmen konzentrieren und andere wirksame Instrumente vernachlässigen, so die Forschenden. Bildungsmassnahmen, mit denen Wissen vermittelt und Verständnis geweckt werden soll, seien wichtig. Aber auf Bildung alleine zu setzen, sei nicht sehr effektiv, wenn man wirklich das Umweltverhalten ändern möchte. Zielführender wäre es, sie mit einer breiten Palette anderer Massnahmen zu koppeln. Lieferketten und Erzeugerprinzipien auf Etiketten deutlich zu machen, kann beispielsweise viele Menschen zum Kauf eines ökologischen oder bestäuberfreundlichen Produkts animieren – auch zu einem höheren Preis. Wirksam wären auch stärkere finanzielle Anreize für Landwirte, die nachhaltig wirtschaften; ebenso könnte die Zertifizierung nachhaltiger Gebäude an die Verwendung bestäuberfreundlicher Pflanzen in Blumenrabatten gekoppelt werden. Auch Steuern und Mehrkosten für Verbraucher sorgen für rasche Verhaltensänderungen: So führte in Grossbritannien eine Zwangsabgabe beim Kauf von Plastiktaschen zu einem Rückgang ihrer Verwendung.
Als ein weiteres Manko der Strategiepapiere wurde identifiziert, dass bei 41% der Einzelmassnahmen die Zielgruppen nicht benannt werden. Die Ziele sind oft sehr gut beschrieben, drehen sich aber zumeist um die Frage, wie sich die Umwelt durch bestimmte Aktionen verändert. Es wird aber oft nicht näher definiert, an wen sich die Aktionen richten und wer sie umsetzen soll: die Öffentlichkeit, die Landwirte oder die lokalen Behörden? Effektiver könnte es sein, man würde sich mithilfe von Verhaltensforschern in einem ersten Schritt überlegen, was die verschiedenen Akteure tun können, und man sich dann darauf aufbauend Massnahmen überlegt, wie bestimmte Ziele erreicht werden können.
Gelegenheiten, Naturschutzstrategien besser zu schreiben, gibt es derzeit einige. So werden auf der nächsten Konferenz der Convention of Biological Diversity (CBD) im kommenden Jahr in China die globalen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt für die folgenden Jahre verhandelt. Vor diesem Hintergrund sei es von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wie Politiken formuliert werden müssen, um zu einer wirksamen Umsetzung internationaler Naturschutzpolitik zu kommen, so die Forschenden.

Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ

Keywords:
Bildung, Naturschutzmassnahmen, Wissensvermittlung, Anreizsysteme, Verhaltensänderungen

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Marselle M.R. et al. (2020): Addressing behavior in pollinator conservation policies to combat the implementation gap. Conservation Biology. doi.org/10.1111/cobi.13581
https://conbio.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/cobi.13581

Kontaktadresse:
Dr. Melissa Marselle
UFZ-Department Ökosystemleistungen an UFZ und iDiv
Deutscher Platz 5e
D-04103 Leipzig
melissa.marselle@ufz.de


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