7.4.2020: Forschung international

Ökologische Verzögerungseffekte können Erfolge im Naturschutz verschleiern

Un décalage des effets écologiques peut camoufler les succès de la protection de la nature



Kevin Watts et al.

Massnahmen zum Schutz und zur Förderung der Biodiversität zeigen nicht immer den gewünschten Erfolg. Dies kann dazu führen, dass Massnahmen negativ bewertet, heruntergefahren oder sogar ganz eingestellt werden. Forschende weisen nun darauf hin, dass viele Arten verzögert auf Veränderungen ihres Lebensraums reagieren. Das gilt sowohl für vergangene negative Eingriffe als auch für Renaturierungen. In manchen Fällen stellen sich Erfolge daher erst langfristig ein.

Les mesures pour la protection et la conservation de la biodiversité n’ont pas toujours le succès escompté. Cela peut entraîner une évaluation négative des mesures, leur diminution ou même leur abandon. Des chercheurs soulignent à présent que de nombreuses espèces réagissent avec un certain retard aux modifications de leur habitat. Cela vaut autant pour les interventions négatives passées que pour les revitalisations. Dans certains cas, les succès n’apparaissent qu’à long terme.


(GK) Ohne die Naturschutzmassnahmen der vergangenen Jahrzehnte wäre die Biodiversität heute in einem deutlich schlechteren Zustand. Noch werden aber die meisten nationalen und internationalen Biodiversitätsziele nicht erreicht. Das liegt vor allem daran, dass die Biodiversität auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda nach wie vor eine zu geringe Rolle spielt. Dies führt dazu, dass der Druck auf die Biodiversität nicht im notwendigen Ausmass abnimmt oder vielerorts sogar zunimmt. Hinzu kommt, dass manche Naturschutzmassnahmen weniger Wirkung erzielen als erhofft. Dies muss allerdings nicht zwangsweise an ungenügenden oder mangelhaften Instrumenten und Handlungen liegen. Vielmehr können ökologische Verzögerungseffekte dazu führen, dass Massnahmen noch nicht die gewünschten Wirkungen zeigen, wie Forschende aufgezeigt haben.
So ist in vielen renaturierten Gebieten die «Aussterbeschuld» noch nicht abbezahlt. Die Aussterbeschuld bezeichnet und definiert jene Anzahl Arten, die nach einer Lebensraumveränderung mittel- bis langfristig verschwinden werden, weil sie sich in dem veränderten Lebensraum immer weniger oder gar nicht mehr fortpflanzen können. Das heisst, dass Arten auch in Zukunft so lange aussterben werden, bis sich die Artenvielfalt auf ein neues Gleichgewicht eingestellt hat.
Gleichzeitig gibt es in renaturierten Gebieten einen sogenannten «Kolonisationskredit». Dieser bezeichnet und definiert jene Anzahl Arten, die sich in dem Lebensraum fortpflanzen können, sobald eine Einwanderung bzw. Kolonisation stattgefunden hat.
Die Forschenden fordern, diese beiden verzögerten Reaktionen bei Wirkungs- und Erfolgskontrollen sowie in nationalen und internationalen Zustandsberichten zur Biodiversität einzubeziehen; Naturschutzmassnahmen, die noch keine Wirkung zeigen, dürfen nicht voreilig als Misserfolg eingestuft werden. Um den tatsächlichen und langfristigen Erfolg von Naturschutzmassnahmen besser dokumentieren zu können, schlagen sie vor, eine Reihe von Meilensteinen zu setzen, die über einen grossen Zeitraum verteilt sind und den Weg zur Erreichung der Biodiversitätsziele markieren. Dazu gehört zunächst die Fläche des renaturierten Kerngebietes sowie die Anzahl, Lage und Qualität von Vernetzungsgebieten, damit Arten die Kerngebiete überhaupt erreichen können. Die Einwanderung von häufigen Arten in das Kerngebiet ist ein weiterer Meilenstein, gefolgt von der Ankunft ausgewiesener Lebensraumspezialisten. Deren Erscheinen zeigt, dass sich die Lebensraumqualität kontinuierlich erhöht hat.
Dieses Vorgehen hilft der Naturschutzpolitik und der Praxis dabei, zwischen ökologischen Verzögerungseffekten und mangelhaften Naturschutzmassnahmen zu unterscheiden. Sind ökologische Verzögerungseffekte für das Nichterreichen der gesetzten Ziele verantwortlich, müsse man sich in Geduld üben, so die Forschenden. Sie vermuten, dass dies häufig der Fall ist, weil die meisten Naturschutzmassnahmen angemessen und durchdacht sind. Wenn dagegen die Naturschutzmassnahmen ungenügend sind, müssen diese angepasst werden.


Keywords:
Aussterbeschuld, Kolonisationskredit, Naturschutzmassnahmen, Naturschutzziele

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Watts K., Whytock R.C., Park K.J., Fuentes-Montemayor E., Macgregor N.A., Duffield S., McGowan P.J.K. (2020): Ecological time lags and the journey towards conservation success. Nature Ecology & Evolution; DOI: 10.1038/s41559-019-1087-8
https://www.nature.com/articles/s41559-019-1087-8

Kontaktadresse:
Dr. Kevin Watts
Biological and Environmental Sciences
University of Stirling, Stirling, FK9 4LA, Scotland UK

kevin.watts@forestry.gsi.gov.uk


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