23.9.2019: Forschung international

Das leise Vogelsterben am Bodensee

La mort silencieuse des oiseaux au Lac de Constance



Hans-Günther Bauer et al.

Obwohl die Artenzahl leicht stieg, sind die Bestände der Vögel rund um den Bodensee seit 1980 insgesamt massiv eingebrochen. Vor allem einst häufige Vogelarten wie Haussperling, Amsel oder Star sind besonders stark zurückgegangen. Viele Arten des Agrarlands kommen nur noch an wenigen Stellen in kleinen Populationen vor.

Même si le nombre d’espèces augmente légèrement, les effectifs d’oiseaux autour du Lac de Constance se sont massivement effondrés depuis 1980. Notamment des espèces d’oiseaux autrefois communes comme le moineau domestique, le merle noir ou l’étourneau sansonnet sont marquées par un fort recul. De nombreuses espèces des paysages agricoles ne sont présentes qu’en quelques endroits et en petites populations.


Auf den ersten Blick erscheint die Bilanz der Zählungen von 1980 bis 2012 ausgewogen: Von den 158 in der Region vorkommenden Vogelarten haben 68 Arten zu- und 67 abgenommen, das entspricht jeweils rund 43 Prozent. Die Gesamtzahl an Arten hat sogar leicht zugenommen: Auf acht ausgestorbene Arten kommen 17, die sich neu oder wieder neu angesiedelt haben, darunter Weissstorch, Wanderfalke und Uhu, die von Schutzmassnahmen profitiert haben.
Wie sieht es aber mit der Zahl der Vögel aus? Die Zählungen ergaben, dass die Bestände stark zusammengebrochen sind. 1980 wurden auf der deutschen Seite des Bodensees noch rund 465'000 Brutpaare gezählt, 2012 nur noch 345'000. Der Grund für diesen scheinbaren Widerspruch ist, dass vor allem häufig vorkommende Arten stark zurückgehen. Von den zehn häufigsten Vögeln am Bodensee haben sechs massiv abgenommen, zwei blieben unverändert und nur zwei haben zugenommen. Die Bestände des Haussperlings – 1980 noch die häufigste Art – sind zum Beispiel seither um 50 Prozent eingebrochen. Dieser Schwund ist dramatisch, vor allem wenn man bedenkt, dass der Rückgang der Vögel schon Jahrzehnte vor der ersten Datenerhebung 1980 begonnen hat. Viele Vogelarten sind zwar noch präsent, kommen aber nur in kleinen, nicht mehr überlebensfähigen Populationen und an immer weniger Orten rund um den nördlichen Bodensee vor.
Auffällig ist, wie unterschiedlich die verschiedenen Lebensräume betroffen sind. Der Studie zufolge gehen die Vögel rund um den Bodensee vor allem in Landschaften zurück, die vom Menschen intensiv genutzt werden. Dies betrifft in erster Linie die Agrarlandschaft: 71 Prozent der auf Wiesen und Feldern lebenden Arten verzeichnen zum Teil drastische Bestandseinbrüche. Das einstmals in der Agrarlandschaft häufige Rebhuhn ist rund um den Bodensee inzwischen ausgestorben. Auch Raubwürger, Wiesenpieper und Steinkauz gibt es dort heute nicht mehr.
Einer der Hauptgründe für diesen Rückgang ist der Verlust von Nahrung. So haben den Ornithologen zufolge am Bodensee 75 Prozent der Fluginsekten-fressenden und 57 Prozent der sich von Landwirbellosen ernährenden Vogelarten abgenommen. Dies bestätigt, dass sich das durch den Menschen verursachte Insektensterben massiv auf die Vögel auswirkt. Hinzu kommt, dass die heutigen effizienten Erntemethoden kaum mehr Sämereien für körnerfressende Arten übriglassen. Ausserdem zerstören das frühe und häufige Abmähen grosser Flächen, der Anbau von Monokulturen, der frühzeitige Aufwuchs des Wintergetreides, Entwässerungsmassnahmen und das Fehlen ungenutzter Brachflächen vielen Arten des Offenlandes den Lebensraum.
Aber nicht nur aus Wiesen und Feldern, auch aus den Dörfern und Städten rund um den Bodensee verschwinden die Vögel. Das gestiegene Ordnungsbedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner und ihre geringere Toleranz gegenüber Lärm und Schmutz machen den Vögeln zunehmend zu schaffen. Offensichtlich können die Tiere inmitten der Häuserschluchten, Zierbäume und sauberen Nutzgärten immer seltener erfolgreich brüten. Selbst «Allerweltsvögel» wie Amsel (minus 28 Prozent), Buchfink und Rotkehlchen (jeweils minus 24 Prozent) leiden massiv unter den sich verschlechternden Lebensbedingungen im Siedlungsbereich.
Alles in allem dokumentiert die letzte Bestandserfassung 2010-2012 dieselben Entwicklungen und Ursachen wie die vorhergehenden Zählungen. Teilweise hat sich die Situation im Vergleich jedoch nochmals deutlich verschlechtert.
Mit seiner vielfältigen Struktur und seiner Lage im Voralpenland bietet der Bodenseeraum an sich hervorragende Lebensbedingungen für Vögel. Die Veränderungen seiner Natur in den letzten Jahrzehnten sind jedoch typisch für dicht besiedelte Gebiete mit intensiver Land- und Forstwirtschaft. Der Einbruch in den Bestandszahlen vieler Arten, wie er nun am Bodensee festgestellt wurde, dürfte wohl auch in anderen Regionen stattfinden.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

Keywords:
Vögel, Artensterben, Landwirtschaft, Siedlungsraum, Bodensee

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Bauer H.-G., Heine G., Schmitz D., Segelbacher G., Werner S. (2019): Starke Bestandsveränderungen der Brutvogelwelt des Bodenseegebietes – Ergebnisse aus vier flächendeckenden Brutvogelkartierungen in drei Jahrzehnten. Vogelwelt 139, 3 – 29.

Kontaktadresse:
Dr. Hans-Günther Bauer
Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Radolfzell / Konstanz
Am Obstberg 1
D-78315 Radolfzell am Bodensee

bauer@orn.mpg.de


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