15.5.2003: Forschung international
Biodiversität weltweit: Überleben im Brennpunkt
Thomas Brooks et al.
Mit Hilfe der Roten Listen konnten Wissenschafter zeigen, dass 44 Prozent aller weltweit bedrohten Pflanzenarten sowie 57 Prozent aller bedrohten Säugetier-, Vogel-, Amphibien- und Reptilienarten in den 25 Brennpunkten leben. Je mehr des Ursprungs-Habitats ein Brennpunkt eingebüsst hatte, desto höher war der Anteil bedrohter oder bereits ausgestorbener Arten in diesem Gebiet.
(gk) Alle zwei Jahre veröffentlicht die Internationale Naturschutzunion (IUCN) eine aktualisierte Liste mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Anfang Oktober letzten Jahres war es wieder soweit. Die in Genf vorgestellte Rote Liste musste – erwartungsgemäss – verlängert werden und umfasst neu 11 167 Arten (www.redlist.org). Zu den prominentesten Neuzugängen gehört die Saiga-Antilope. Vor zehn Jahren durchstreiften noch eine Million dieser Tiere die zentralasiatischen Steppen und Halbwüsten. Heute sind es weniger als 50 000 Saiga-Antilopen. Der Bestand wurde vor allem wegen des Fleisches und des in der traditionellen Medizin genutzten Horns dezimiert. Bisher hat die blosse Einstufung von Arten als «gefährdet» allerdings wenig dazu beigetragen, ihren Rückgang zu bremsen. Die Roten Listen ermöglichen es jedoch, Lebensräume zu identifizieren, in denen eine aussergewöhnlich grosse Zahl gefährdeter Arten lebt.
Vor zwei Jahren haben Forscher 25 Gebiete identifizierten, die 44 Prozent aller Pflanzenarten und 35 Prozent aller Wirbeltierarten der Erde beherbergen, zusammen aber lediglich 1,4 Prozent der Erdoberfläche bedecken (www.conservation.org/xp/CIWEB/strategies/hotspots/hotspots.xml). Doch in allen diesen sogenannten Brennpunkten, zu denen beispielsweise Madagaskar, die Inselwelt der Karibik und die Regenwälder der brasilianischen Atlantikküste gehören, wurde der Grossteil der ursprünglichen Pflanzendecke zerstört. Auf Madagaskar und entlang der brasilianischen Küste sind deutlich weniger als zehn Prozent des ursprünglichen Lebensraums intakt. Was das für die Tier- und Pflanzenwelt bedeutet, haben nun elf Wissenschafter unter der Leitung von Thomas Brooks vom Center for Applied Biodiversity Sciences in Washington untersucht. Mit Hilfe der Roten Listen konnte das Team zeigen, dass 44 Prozent aller weltweit bedrohten Pflanzenarten sowie 57 Prozent aller bedrohten Säugetier-, Vogel-, Amphibien- und Reptilienarten in den 25 Brennpunkten leben. Je mehr des Ursprungs-Habitats ein Brennpunkt eingebüsst hatte, desto höher war der Anteil bedrohter oder bereits ausgestorbener Arten in diesem Gebiet. Es muss befürchtet werden, dass ein anhaltender Verlust an Lebensraum zu einem Massensterben führen wird. Die Wissenschafter verweisen hierzu auf ein mathematisches Modell, dem die Beobachtung zugrunde liegt, dass die Zahl der auf einer Insel lebenden Arten sich anhand der Inselfläche vorhersagen lässt. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich Anzahl und Prozentsatz der Arten berechnen, die aussterben würden, wenn ein bestimmter Teil eines Lebensraums verloren gehen würde. Demzufolge verschwinden bei der Verkleinerung eines Habitats um 90 Prozent etwa die Hälfte der Arten, bei einer 99-prozentigen Zerstörung etwa drei Viertel der Arten.
Es gibt aber auch Ausnahmen. In Madagaskar, den westafrikanischen Wäldern und verschiedenen Inselgruppen in den Weltmeeren beispielsweise sind mehr Säugetierarten bedroht, als man auf Grund des Anteils an zerstörtem Lebensraum erwarten würde. In diesen Regionen tragen noch andere Faktoren zum Niedergang der Bestände bei. Zu diesen gehören die exzessive Jagd sowie eingeschleppte invasive Arten, die den einheimischen Tieren und Pflanzen den Lebensraum streitig machen. In anderen Brennpunkten wiederum fanden die Forscher deutlich weniger bedrohte Arten als befürchtet. Dies gilt vor allem für die Gruppen der Reptilien und Amphibien. Entwarnung heisst jedoch auch das nicht. Die Wissenschafter vermuten, dass Naturschützer nur einen Teil der in den Brennpunkten vorkommenden Reptilien- und Amphibienarten bewertet haben und die nicht bewerteten Arten quasi «unbemerkt» seltener werden oder gar aussterben könnten. Die Roten Listen ergeben auch dann ein falsches Bild vom Zustand der biologischen Vielfalt, wenn Arten bereits vor den ersten Erhebungen ausgestorben sind. Das wird etwa für die Mittelmeerregion angenommen, wo der Mensch schon vor 2000 Jahren stark in den Naturhaushalt eingegriffen hat.
Die Wissenschafter fordern sofortige Massnahmen für die 25 Brennpunkte. Deren ursprüngliche Lebensräume wurden durch den Menschen drastisch verkleinert. Das gilt vor allem für die Küstenwälder Tansanias und Kenyas sowie für die Philippinen, wo weniger als zehn Prozent des ursprünglichen Habitats erhalten geblieben sind. Wenn es jetzt gelänge, die Zerstörung der Lebensräume in den Brennpunkten aufzuhalten und diese wirksam zu schützen, so Brooks, könne damit die Hälfte der auf der Erde lebenden Arten erhalten werden.
Keywords:
Hotspot, Rote Liste, IUCN, Habitatzerstörung
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Brooks Th. (2002): Habitat loss and extinction in the hotspots of biodiversity. Conservation Biology 16, 909-923
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