15.2.2005: Forschung CH
Bartgeier: Vorlieben für Steinbock und Kalkstein
Hirzel A. et al.
Dank einem Wiederansiedlungsprojekt hat der Bartgeier die Alpen zurückerobert. Warum der Greifvogel aber bestimmte Alpenregionen bevorzugt und andere meidet, war bisher unklar. Eine Forschergruppe der Universität Bern hat nun den Grund für diese unterschiedliche Verbreitung herausgefunden. Ihre Erkenntnisse sind massgebend für den weiteren Verlauf des Wiederansiedlungsprojekts.
Wissenschaftler der Abteilung «Conservation Biology» haben unter der Leitung von Prof. Raphaël Arlettaz und Dr. Alexandre Hirzel die ökologische Nische des Bartgeiers modelliert, um herauszufinden, welche Faktoren für das Vorkommen der Art entscheidend sind. Dazu wurden die 1500 seit 1987 im Wallis gesammelten Beobachtungen mittels eines geografischen Informationssystems (GIS) analysiert.
Die Forscher unterteilten die Sichtungen nach Jungvögeln unter vier Jahren und solchen, die älter als vier Jahre waren und somit allmählich die Geschlechtsreife erreichten. Sie stiessen bei der Analyse auf grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Altersklassen. Während die jüngeren Vögel Gebiete bevorzugten, in denen genügend Steinwild vorhanden ist, liessen sich die älteren Vögel vor allem in kalksteinreichen Zonen nieder. Dies erklärt ihr Fehlen in den Penninischen Alpen (zwischen dem Mont Blanc und dem Monte Leone) ebenso wie im Aarmassiv (zwischen dem Lötschental und dem Rhonegletscher): Diese Regionen bestehen hauptsächlich aus kristallinen Gesteinen (Granit-, Gneis- usw.). Hingegen stammten viele Bartgeier-Beobachtungen aus dem kalkreichen Massiv der Dents du Midi und aus der Region zwischen den Dents de Morcles und Leukerbad.
Die Vorliebe der Bartgeier für den Kalkstein basiert vermutlich auf dem dort häufigen Vorkommen von steilen und nischenreichen Felswänden, die den Nestbau an geschützten Stellen erlauben. Dies ist für Bartgeier besonders wichtig, da sie bereits ab Januar brüten. In Kalksteinregionen finden sich zudem überall Geröllhalden, die das Zerschlagen von Knochen erleichtern. Die Forscher schliessen daraus, dass die Bartgeier sich in den Alpen vor allem in Kalksteinregionen niederlassen – am liebsten in solchen, die auch eine hohe Steinbockpopulation aufweisen. Sie empfehlen, in Zukunft keine Bartgeier mehr in kalksteinarmen Regionen auszusetzen, da die Vögel dort keine optimalen Bedingungen für eine Ansiedlung vorfinden und dadurch das Sterblichkeitsrisiko in den Jugendjahren erhöht ist.
Diese Erkenntnisse über die ökologischen Vorlieben der Bartgeier können erklären, warum Wiederansiedlungsprogramme in den Südalpen und in Österreich seit zwanzig Jahren erfolglos geblieben sind. Die Aussetzungsorte sind zu weit von Kalksteingebieten entfernt. Hingegen ist die Präsenz mehrerer brütender Paare im Nationalpark von Stelvio (Italien), in Hochsavoyen und im französischen Vanoise-Nationalpark auf das Vorhandensein der zwei wichtigsten Faktoren zurückzuführen: grosse Steinbockpopulationen und Kalkstein.
Keywords:
Bartgeier, Steinbock, Wiederansiedlung
Art der Publikation:
Fachpublikation
Literatur:
Hirzel A., Posse B., Oggier P.-A., Crettenand Y., Glenz C., Arlettaz R. (2004): Ecological requirements of reintroduced species and the implications for release policy: the case of bearded vulture . Journal of Applied Ecology 41, 1103-1116.
Kontaktadresse:
Prof. Dr Raphaël Arlettaz, Division of Conservation Biology, Universität Bern
Erlachstrasse 9a, CH-3012 Bern
raphael.arlettaz@nat.unibe.ch
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