15.6.2017: Forschung CH

Mikroverunreinigungen verursachen ökologischen Stress

Les micropolluants à l'origine d'un stress écologique



Christian Stamm et al.

Über das gereinigte Abwasser gelangen Mikroverunreinigungen aus den Kläranlagen in Bäche und Flüsse. Ein Forschungsprojekt zeigt, dass die Mikroverunreinigungen nicht nur einzelne Arten beeinträchtigen, sondern auch die Funktionen der Wasserökosysteme, etwa den Laubabbau, verändern. Die technische Aufrüstung der ersten Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe zur Entfernung von Mikroverunreinigungen zeigt positive Wirkung.

De nombreux micropolluants se déversent dans les fleuves et rivières avec les rejets des stations d'épuration. Un projet de recherche montre que les micropolluants ne portent pas seulement atteinte à certaines espèces, mais perturbent également certaines fonctions de l'écosystème aquatique, affectant par exemple la dégradation des débris végétaux. L'amélioration technique des premières stations d’épuration avec une phase supplémentaire pour éliminer les micropolluants montre des effets positifs.


Sei es in Medikamenten, Kosmetika, Reinigungsmitteln oder Industriechemikalien – in unzähligen Produkten kommen hierzulande täglich über 30’000 chemische Wirkstoffe zum Einsatz. Viele gelangen via Kläranlagen in die Gewässer und können die Lebewesen und das Trinkwasser beeinträchtigen. Um solche Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser zu entfernen, rüstet die Schweiz in den kommenden Jahren gezielt rund hundert Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe aus.
Forschende der Eawag und des Oekotoxzentrums Eawag-EPFL begleiten den Ausbau wissenschaftlich. In einer ersten Phase haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun den chemischen und biologischen Ist-Zustand vor der Aufrüstung der Kläranlagen erfasst. Sie wollten zudem herausfinden, wie sich die Mikroverunreinigungen, die bisher in Kläranlagen nicht aus dem Abwasser entfernt werden können, auf die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften und die Funktion von Flussökosystemen auswirkt.
Zwischen 2013 und 2014 nahmen die Forschende an 24 ARA-Standorten jeweils oberhalb und unterhalb der Abwassereinleitungen regelmässig Wasserproben und bestimmten die auftretenden Stoffe. Die Messungen belegen, dass mit dem gereinigten Abwasser viele Mikroverunreinigungen in die Flüsse gelangen. Besonders ausgeprägt war der Anstieg der Konzentrationen bei Arzneimitteln und Haushalts-Chemikalien. So lagen diese bei den Medikamenten unterhalb der Kläranlagen im Mittel über 30-mal höher als oberhalb. Eine erste ökotoxikologische Risikoabschätzung deutete darauf hin, dass das Schmerzmittel Diclofenac und die Pestizide Diazinon und Diuron weit verbreitet in Konzentrationen auftreten, die negative Auswirkungen auf Wasserlebewesen haben können. Bei weiteren Substanzen ist dies regional der Fall.
Die Lebewesen unterhalb der Kläranlagen zeigten verschiedene Stresssymptome, die auf eine Belastung mit Mikroverunreinigungen hindeuten. So waren bei Bachforellen Gene aktiviert, die bei der zellulären Entgiftung eine Rolle spielen. Bei den Bachflohkrebs-Populationen stellten die Forschenden einen Mangel an jungen Individuen fest, was auf eine beeinträchtigte Fortpflanzung oder eine erhöhte Sterblichkeit von Jungtieren hinweist. Die Vielfalt von wirbellosen Arten, die empfindlich auf Pestizide reagieren, war unterhalb der Abwassereinleitung geringer. Da mit dem Abwasser auch Antibiotika und resistente Bakterien in die Gewässer gelangen, kann zudem die Verbreitung entsprechender Resistenzen gefördert werden.
Auch Algen und Bakterien, die als Biofilme den Gewässergrund besiedeln und eine wichtige Rolle im Nahrungsnetz spielen, reagieren auf das Abwasser. Die unterhalb der Kläranlagen lebenden Biofilme waren gegenüber Mikroverunreinigungen deutlich toleranter als jene oberhalb. Je grösser die chemische Belastung, umso grösser war die Toleranz. Das deutet auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Exposition und biologischen Effekten hin.
Bei den Biofilmen konnten die Forschenden erste Auswirkungen des Ausbaus von Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe zur Entfernung von Mikroverunreinigungen nachweisen. So haben die Algen in der Glatt ihre erhöhte Toleranz gegenüber Mikroverunreinigungen relativ rasch wieder verloren, nachdem die ARA Herisau ihre zusätzliche Reinigungsstufe in Betrieb genommen hatte. Auch die erhöhte Aktivität der Entgiftungsgene von den unterhalb lebenden Bachforellen verschwand.
Die Wirkungen der einzelnen Mikroverunreinigungen sind im Feld nicht für alle Stoffe direkt messbar, weil sie z.B. durch Effekte anderer Abwasserkomponenten überlagert werden. Um die verschiedenen Einflüsse auseinanderzuhalten, führten die Forschenden deshalb zusätzlich Versuche in einem Rinnensystem durch. Mithilfe dieser Durchflussrinnen konnten sie zum Beispiel nachweisen, dass Mikroverunreinigungen den Abbau von organischem Material hemmen, während die Zufuhr von Nährstoffen diesen fördert. Das stützt die Befunde aus dem Feld, bei denen die Abbauraten bei Laubblättern je nach Nährstoffsituation unterhalb der Kläranlagen um rund zwei Drittel tiefer lagen als oberhalb. Die statistische Auswertung deutet darauf hin, dass unter anderem Insektizide die laubabbauenden Bachflohkrebse dezimieren.


Quelle: EAWAG

Keywords:
Gewässer; Mikroverunreinigungen; Kläranlagen;

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Christian Stamm et al. (2017): Einfluss von Mikroverunreinigungen. AQUA & GAS No 6, 90-95.
http://www.eawag.ch/de/news-agenda/news-plattform/news/news/mikroverunreinigungen-verursachen-oekologischen-stress/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=fe05f2731e083c4b34666750174826c7



Kontaktadresse:
Dr. Christian Stamm
Eawag
Überlandstrasse 133
D-8600 Dübendorf

christian.stamm@eawag.ch
Tel: +41 (0)58 765 55 65


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