16.8.2016: Forschung international

Grenzsicherheitszäune erzwingen eine Überprüfung der Artenschutz-Strategien

La fermeture des frontières force à revoir les stratégies de protection des espèces



John Linnell et al.

Zwischen 25'000 und 30'000 Kilometer Drahtzäune und Mauern umgeben die Grenzen vieler Länder in Osteuropa und Zentralasien. Dies tötet Tiere, welche sich in den Zäunen verfangen, wirkt als Barriere für die Bewegungen von Wildtieren und schneidet Arten von wichtigen saisonalen Lebensräumen ab. Die langfristigen Folgen sind eine geringere Lebensfähigkeit der Wildbestände und eine Verringerung ihrer Fähigkeit, auf den Klimawandel zu reagieren. Diese Situation erzwingt ein Umdenken grenzüberschreitender Naturschutzstrategien.

Entre 25'000 et 30'000 kilomètres de barbelés et de murs marquent les frontières de nombreux pays en Europe de l’est et en Asie centrale. Ceci entraîne la mort d’animaux qui se prennent dans les clôtures, empêche les mouvements d’animaux et isole des espèces de milieux saisonniers importants. Les conséquences à long terme sont une plus faible viabilité des populations de gibier et une diminution de leurs capacités à réagir face aux changements climatiques. Cette situation nous force à revoir les stratégies transfrontalières de protection de la nature.


Als der Eiserne Vorhang in den frühen 1990er-Jahren fiel, schien es, als seien wir in einer Welt ohne Grenzen angekommen. Nebst mehr Bewegungsfreiheit für Menschen erlaubte dies auch den Wildtieren Grenzen einfacher zu passieren. Die Strategie der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Artenschutz verbreitete sich in ganz Eurasien. Die Idee war, von den neu eröffneten Grenzen und dem verbesserten Geist der Zusammenarbeit zu profitieren und Pläne zu erarbeiten, welche die Anstrengungen der Länder bündeln um die Tierwelt gemeinsam zu erhalten.
Seit 9/11 – und in Europa insbesondere in jüngster Zeit – haben viele Nationen damit begonnen, neue Grenzsicherheitszäune zu errichten oder bestehende Zäune zu verstärken. Das Ergebnis ist sowohl für Wildtiere als auch für Menschen eine dramatische Verringerung der Durchlässigkeit der Grenzen. Das Problem wurde in einigen Fallstudien erwähnt, bis anhin gab es jedoch keine Übersicht. Ein Team von 18 Forschern aus Institutionen mit Sitz in 10 Ländern haben ihre Erfahrungen gesammelt und verschiedene Quellen überprüft um einen aktuellen Überblick über die Grenzzäune in ganz Europa, dem Kaukasus und Zentralasien zu gewinnen. Ihre wichtigste Erkenntnis ist, dass zwischen 25‘000 und 30‘000 Kilometer Zäune die Länder der Region umgeben. Und es werden immer mehr. Obwohl nicht Gegenstand der Studie, sind solche Zäune in den Ländern des Mittleren Ostens sogar noch häufiger.
Diese Zäune sind ein grosses Hindernis für Wildtiere, insbesondere für migrierende grosse Pflanzenfresser wie die Saigaantilope, die mongolische Gazelle, den Asiatischen Wildesel oder Rotwild sowie für grosse Fleischfresser wie Braunbär, Leopard, Schneeleopard und Luchs. Es gibt Beispiele von Individuen welche sich in den Draht verwickeln und qualvoll sterben, während sie versuchen den Zaun zu überqueren. Ein weiteres Problem tritt auf, wenn Zäune die Wege von Tieren versperren, welche saisonal wichtige Lebensräume zu erreichen oder unberechenbarem Winterwetter zu entfliehen versuchen. Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass eine grosse Anzahl Tiere verhungert. Weitere negative Auswirkungen von Zäunen sind die Fragmentierung von Populationen und eine Verringerung ihrer langfristigen Überlebensfähigkeit. Als Folge davon muss die ganze Idee des grenzüberschreitenden Naturschutzes in einigen Bereichen überprüft werden; die Durchlässigkeit der Grenzen für Wildtiere kann nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden.
Zum Glück gibt es eine Reihe von Massnahmen, welche die schlimmsten Auswirkungen mildern helfen. So liessen sich zum Beispiel einige Zaunabschnitte zu denjenigen Jahreszeiten öffnen, in denen wandernde Herden queren müssen. Ebenfalls ist es möglich, einige strategische Abschnitte offen zu lassen und andere Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen, um diese Lücken zu überwachen. Des Weitern gibt es eine Reihe von Zaunarten, die das Risiko reduzieren, dass sich Tiere verheddern, oder die sogar für einige Arten durchlässig sind. Damit diese Massnahmen gegen unerwünschte Auswirkungen von Grenzzäunen auf die Umwelt wirksam greifen, bedarf es der Zusammenarbeit zwischen Naturschützern und den für Grenzsicherheit zuständigen staatlichen Behörden. Bei Entscheidungen über den Bau weiterer Grenzzäune sollte eine öffentliche Debatte über deren Kosten und Nutzen geführt, sowie alternative Strategien in Betracht gezogen werden.

Quelle: KORA

Keywords:
Grenzen; Migration; Naturschutz

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Linnell J.D.C. et al. (2016): Border security fencing and wildlife: the end of the transboundary paradigm in Eurasia? PLoS Biology.
http://dx.plos.org/10.1371/journal.pbio.1002483

Kontaktadresse:
Dr. John Linnell
Norwegian Institute for Nature Research
NOR-7485 Trondheim

john.linnell@nina.no


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