11.4.2016: Forschung CH
Zuschauen, wie eine neue Art entsteht
Assister de visu à la naissance d'une espèce
David A. Marques et al.
Genetische Analysen ermöglichen es, sehr frühe Stadien der Artbildung zu erkennen und Artbildungsprozesse besser zu verstehen. Eine soeben publizierte Studie zeigt dies anhand der rasanten Entwicklung des Dreistachligen Stichlings im und um den Bodensee.
Les analyses génétiques permettent aujourd'hui de détecter les stades les plus précoces de la spéciation et d'en mieux comprendre les mécanismes. Une étude en fait la démonstration en prenant l'exemple de l'évolution ultrarapide de l'épinoche dans le lac de Constance et sa région.
Seit etwa 150 Jahren breitet sich der Dreistachlige Stichling im ganzen Mittelland der Schweiz rasant aus. Nun gibt eine aufwändige genetische Untersuchung der Eawag und der Universität Bern Hinweise, was zum Erfolgsrezept der Stichlinge gehört: Sie können sich offenbar sehr rasch an neue Lebensräume anpassen – so rasch, dass sie den Evolutionsbiologen als Modell dienen, wie sich aus einer Art zwei oder mehr Arten zu entwickeln beginnen. Statt eines einzigen «Bodenseestichlings» haben sie nämlich unterschiedliche Formen gefunden, die einerseits typisch sind für den See und andererseits für die Seezuflüsse. Und dies, obwohl auch die Stichlinge aus dem See zur Laichzeit in die kleinen Zuflüsse wandern.
Üblicherweise entwickeln sich eigenständige Arten, indem sie sich an unterschiedliche Lebensräume anpassen und sich räumlich voneinander isoliert fortpflanzen, im See zum Beispiel in verschiedenen Tiefen.
Die Beobachtung einer Artbildung, wie sie sich zurzeit bei den Stichlingen anbahnt, ist für die beteiligten Forscher faszinierend. Möglich wurde sie erst in den letzten Jahren, dank des technischen Fortschritts in der DNA-Sequenzierung. Rund 40 Regionen auf 20 verschiedenen Chromosomen haben die Wissenschaftler identifiziert, wo sich die «Seestichlinge» von den «Bachstichlingen» unterscheiden. Mehr als der Hälfte dieser genomischen Inseln zeigen die Unterschiede unabhängig davon ob sich die Stichlinge am gleichen Ort oder an verschiedenen Orten fortpflanzen.
Von «neuen Arten» reden die Forschenden allerdings ungern. Für dieses frühe Stadium der Artbildung benutzen sie lieber den Begriff der Ökotypen. Denn ob sich diese in Zukunft jemals zu vollständig voneinander isolierten Arten entwickeln, ist ungewiss. Studien der Eawag-Forscher haben gezeigt, dass gerade solche Ökotypen und jungen Arten oft empfindlich auf Umweltveränderungen reagieren und sogar wieder verschmelzen können. Es scheint aber, dass die Stichlinge im Bodensee schon heute besser gerüstet sind dagegen: Die genetischen Unterschiede befinden sich an Orten in ihrem Erbgut, die bekannt sind für tiefe Rekombinationsraten.
Quelle: EAWAG
Keywords:
Evolution; Artbildung; Seen; Fische; Umweltanpassung
Literatur:
Marques D. A. et al. (2016): Genomics of rapid speciation in sympatric threespine stickleback. PLoS Genetics. doi: 10.1371/journal.pgen.1005887
http://journals.plos.org/plosgenetics/article?id=10.1371/journal.pgen.1005887
Kontaktadresse:
David Alexander Marques
Eawag
Seestrasse 79
CH-6047 Kastanienbaum
DavidAlexander.Marques@eawag.ch
Tel: +41 (0)58 765 6812
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