13.3.2015: Forschung international

Wisente waren keine reinen Waldbewohner: Heutige Schutzkonzepte müssen überarbeitet werden

Les bisons n’étaient pas uniquement forestiers: les concepts de protection doivent être revus



Hervé Bocherens et al.

Wissenschaftler haben die ältesten bekannten Wisentknochen Europas untersucht. Dabei stellten sie fest, dass Wisente «Gemischtesser» waren und das Leben in offenen Landschaften einem Leben im Wald vorzogen. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf heutige Schutzkonzepte der vom Aussterben bedrohten Art.

Des scientifiques ont étudié les os des plus anciens bisons connus en Europe. Ils ont constaté que les bisons étaient des «mangeurs de feuilles et d’herbes» et qu’ils préféraient vivre dans des milieux ouverts plutôt qu’en forêt. Ceci a des conséquences directes sur les concepts actuels de protection de cette espèce menacée d’extinction.


Etwa 3000 freilebende Wisente (Bison bonasus) gibt es derzeit in Europa. Seit 2013 lebt eine kleine Herde der dunkelbraunen Kolosse auch wieder in Deutschland.

Deutsche und polnische Forschende konnten nun allerdings zeigen, dass die bisherigen Schutzkonzepte für Wisente überarbeitet werden müssen: Sie haben die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten dieses grössten europäischen Säugetiers anhand von etwa 12.000 bis 10.000 Jahre alten Wisentknochen aus Norddeutschland, Dänemark und Südschweden untersucht. Bisher ging man davon aus, dass europäische Wisente – anders als ihre steppenbewohnenden Verwandten in Nordamerika – sich überwiegend in Wäldern wohl fühlen. Anhand von Isotopenuntersuchungen an den uralten Knochen der Grosssäuger konnten sie aber belegen, dass Wisente «Gemischtesser» waren: Das Verhältnis der Kohlenstoff- und Stickstoffisotope in den Knochen zeigt, dass auf dem Speiseplan der Wisente im frühen Holozän sowohl Blätter als auch Gras und Flechten standen. Sie hielten sich demnach keineswegs nur in Wäldern auf.
Dank dieser flexiblen Ernährung konnten sie auch harte Winter überstehen.
Als die offenen Landschaften – bedingt durch Klimawandel, wachsende Waldflächen und zunehmende landwirtschaftliche Aktivität des Menschen – schrumpften, wurde der Wisent in die Wälder zurückgedrängt. Dort nahm die Population der Wisente so stark ab, dass die Tiere fast vollständig ausstarben. Heute überleben die wilden Wisente in Europa im Winter nur durch menschliche Hilfe. Der Wald bietet den stattlichen Tieren in der kalten Jahreszeit nicht ausreichend Nahrung. Bessere Chancen hätten die stark bedrohten Wisente, wenn sie – wie in der Vergangenheit – offene Landschaften bewohnen könnten und damit auch ein breiteres Nahrungsangebot hätten, so die Forschenden.

Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen


Keywords:
Wisent, Wiederansiedlung, Schutzkonzept

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Bocherens H. et al. (2014): European bison as a refugee species? Evidence from isotopic data on Early Holocene bison and other large herbivores in northern Europe. PLoS ONE 10(2): e0115090. doi:10.1371/journal.pone.0115090

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Hervé Bocherens

Universität Tübingen

Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoenvironment 

D-72074 Tübingen

herve.bocherens@uni-tuebingen.de


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