13.10.2014: Forschung international

Evolution im Hauruck-Prinzip

Une diversification soudaine



David Brawand et al.

Manchmal geht Evolution ganz schnell, zum Beispiel, als sich im afrikanischen Viktoriasee innerhalb von nur 15‘000 Jahren über 500 Buntbarsch-Arten gebildet haben. Die Eawag hat zusammen mit einem internationalen Forscherteam aufgezeigt, dass dieser Sprung in der Biodiversität nur möglich war, weil sich in den Genomen der wenigen «Fisch-Urväter» zuvor über lange Zeit schon vielfältige molekulare Mechanismen haben ausbilden können. Geht eine solche Art verloren, kann das daher ungeahnte Folgen haben.

L’évolution est parfois rapide, comme lorsque plus de 500 espèces de cichlidés se sont formées en l’espace de seulement 15'000 ans dans le lac africain Victoria. L’Eawag et un groupe international de chercheurs ont pu montrer que ce saut dans la biodiversité n’a été possible que parce qu’au préalable et pendant longtemps des mécanismes moléculaires diversifiés ont pu se développer dans le génome de quelques «poissons ancêtres». La disparition d’une telle espèce peut donc avoir des conséquences insoupçonnées.


Für die Studie haben 27 Forschungsinstitutionen weltweit zusammengespannt und die Geschichte des Erbgutes von fünf Buntbarsch-Arten aus fünf verschiedenen, unterschiedlich «artbildungsfreudigen» Evolutionslinien rekonstruiert. Afrikanische Buntbarsche sind einmalig unter Wirbeltieren in ihrem Reichtum von Arten mit Anpassungen an die verschiedensten ökologischen Nischen. Um zu erforschen, was diese Vielfalt an Form und Funktion ermöglicht hat, lag die Frage nahe, wie das Buntbarsch-Genom beschaffen ist.
Es wurde gezeigt, wie die Natur mit einem ganzen Spektrum unterschiedlicher Methoden die Voraussetzungen schafft, dass sich Organismen an unterschiedliche Umgebungen anpassen können. Dieselben Mechanismen seien auch in der Evolution von Menschen und Wirbeltieren am Werk. Mit der Konzentration auf die bemerkenswert artenreichen Buntbarsche konnten die beteiligten Wissenschaftler diese Prozesse zum ersten Mal umfassend untersuchen.
In den afrikanischen Seen sind über 1'500 Buntbarsch-Arten in nur wenigen Millionen Jahren entstanden – die 500 Arten des Viktoriasees hatten dafür sogar nur 15'000 Jahre Zeit. Ähnlich schnell entwickelten sich zum Beispiel die verschiedenen Felchenarten in den nacheiszeitlichen Alpenrandseen. Die Anzahl neu entstandener Arten ist in diesem Fall allerdings wesentlich kleiner. Doch welche genetischen Voraussetzungen ermöglichten diese schnelle Artbildung auf engem Raum, sogenannte «Radiationen»? Laut Studie haben die Vorfahren der grossen Radiationen in einer Phase ohne grossen Selektionsdruck verschiedenste Typen zufälliger genomischer Variation angehäuft. Damals war diese Variation wohl ziemlich nutzlos; aber sie wurde unglaublich nützlich, als die Fische die ostafrikanischen Seen besiedelten. Dort gaben ihnen vielfältige ökologische Nischen plötzlich Gelegenheit für unterschiedliche Anpassungen.

Nicht eine einzelne, grosse Veränderung im Genom hat offenbar den Fischen ihre erstaunliche Anpassungsfähigkeit und schnelle Artbildung ermöglicht, sondern eine Menge ganz unterschiedlicher molekularer Mechanismen. Im Unterschied zu artenarmen Fischfamilien, die sich über Jahrmillionen nur in wenige Arten aufgespalten haben, fanden die Biologen in der Erbinformation der Pundamilia nyererei des Viktoriasees und der anderen artbildungsfreudigen Buntbarschlinien gehäuft Veränderungen.
Die Studie belegt die Bedeutung des Biodiversitäts-Schutzes. Denn durch das Zusammenspiel einer Vielzahl genetischer Prozesse zu unterschiedlichen Zeiten entsteht in jedem Fall ein Genom mit seiner eigenen Geschichte und einer einzigartigen Architektur. Geht eine Art verloren, ist der Verlust endgültig. Zugleich geht für alle Nachbar-Arten ein Teil ihrer Umwelt verloren – und für alle verwandten Nachbararten ein Reservoir an Erbgut- und Regulierungsvarianten, auf das sie bei Bedarf durch Hybridisierung zurückgreifen können.
Quelle: EAWAG


Keywords:
Evolution, Artbildung, Buntbarsche, genetische Vielfalt

Art der Publikation:
Fachpublikation

Literatur:
Brawand D. et al. (2014): The genomic substrate for adaptive radiation: genomes of five African cichlid fish. Nature, doi:10.1038/nature13726
https://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=54324
http://www.nature.com/nature/journal/v513/n7518/full/nature13726.html

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Ole Seehausen
EAWAG
Abteilung Fischökologie und Evolution
Ueberlandstr. 133
CH-8600 Dübendorf

ole.seehausen@eawag.ch
Tel: +41 (0)58 765 21 21


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